Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Attentaeterin

Die Attentaeterin

Titel: Die Attentaeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
Vom Netzwerk:
widerwärtig. Was hat es mir letztlich gebracht? Eigentlich bin ich nur um eine Illusion gekreist, wie der Falter, der um eine Funzel schwirrt, mehr von seiner unbändigen Neugier getrieben als vom tödlichen Licht der Kerze in Bann gezogen. Die Falltür, die ich unbedingt öffnen wollte, hat mir nicht eins ihrer Geheimnisse preisgegeben. Nur ihren Modergeruch und ihre Spinnweben hat sie mir ins Gesicht geweht.
    Nichts drängt mich mehr, noch weiter zu forschen.
    Jetzt, wo ich mit eigenen Augen gesehen habe, wie ein Kriegstreiber und ein Kamikaze-Macher aussehen, setzt mein innerer Dämon mir weniger zu. Ich habe beschlossen, aufzuhören: ich fahre zurück nach Tel Aviv.
    Kim ist erleichtert. Sie chauffiert schweigend, die Hände fest ums Lenkrad gelegt, als müsse sie sich erst klar machen, dass sie nicht halluziniert, sondern mich wirklich und wahrhaftig nach Hause fährt. Seit dem Morgen vermeidet sie jedes Wort, aus Angst, es könnte das falsche sein und ich könne schlagartig meine Meinung ändern. Sie ist in aller Frühe aufgestanden, hat geräuschlos zusammengepackt und mich erst geweckt, als die Wohnung aufgeräumt und der Wagen startklar war.
    Wir rasen mit Scheuklappen durch die jüdischen Viertel. Den Blick stur geradeaus und bloß nicht länger auf irgendetwas verweilen lassen. Das kleinste Versehen könnte eine Lawine auslösen. Kim hat nur Augen für die Straße, die sich vor ihr entrollt, auf geradem Weg hinaus aus der Stadt. Von den Schrecken der Nacht befreit, kündigt der Tag sich strahlend an. Ein makelloser Himmel wölbt sich reglos, noch im Schlaf des Gerechten. Die Stadt scheint nur mit Mühe zu erwachen. Einige Frühaufsteher lösen sich hier und da mit traumverquollenen Augen aus dem Dunkel, huschen wie Schatten die Wände entlang. Hin und wieder erklingt ein einsames Geräusch, ein Eisenrollo, das hochgezogen, ein Wagen, dessen Motor angelassen wird. Ein Omnibus fährt spuckend und fauchend in einen Busbahnhof ein. In Jerusalem ist man morgens sehr vorsichtig: es sind für gewöhnlich die ersten Gesten und Taten der Morgendämmerung, die das Gesicht des Tages prägen.
    Kim nutzt den flotten Verkehrsfluss aus, um schnell, sehr schnell zu fahren. Sie merkt gar nicht, wie nervös sie ist. Man könnte meinen, sie versucht, der Sprunghaftigkeit meiner Launen zuvorzukommen, hätte Angst, ich könnte meine Meinung ändern und beschließen, nach Bethlehem zurückzukehren.
    Sie richtet sich erst gerade auf, als die letzten Vororte der Stadt aus dem Rückspiegel verschwinden.
    »Es treibt uns doch niemand«, bemerke ich.
    Erschrocken nimmt sie den Fuß vom Gaspedal, als hätte sie gerade erst gemerkt, dass sie einer Schlange auf den Schwanz getreten ist. In Wahrheit ist es meine zerrüttete Stimme, die sie beunruhigt. Ich fühle mich so matt, richtig elend. Was hatte ich in Bethlehem überhaupt gesucht? Ein Stück Lüge, um das, was von meinem Gesicht noch bleibt, zu überschminken? Einen Hauch Würde zur Stunde, da mir alles misslingt? Meine Wut öffentlich zur Schau zu stellen, damit jedermann weiß, wie sehr ich diese Mistkerle verabscheue, die meinen Traum wie einen Abszess haben aufplatzen lassen …? Angenommen, aller Augen wären auf meinen Schmerz und meinen Abscheu gerichtet, die Leute wichen zur Seite, wenn ich vorüberkomme, die Nacken beugten sich tief unter meinem Blick … und was weiter? Was würde das ändern? Welche Wunde würde dadurch geheilt, welcher Bruch wieder eingerenkt …? In meinem Innersten bin ich mir nicht einmal sicher, ob ich wirklich bis zur Wurzel meines Unglücks vordringen will. Sicher, ich hätte keine Angst davor, mich zu schlagen, wenn es hart auf hart kommt, aber wie soll man die Klinge mit Phantomen kreuzen ? Es ist offensichtlich, dass ich im Vergleich nur ein Fliegengewicht bin. Mit den Gurus und ihren Schergen kenne ich mich nicht aus. Mein Leben lang habe ich den Hetzreden der einen, den Machenschaften der anderen beharrlich den Rücken gewandt, habe mich an meine Ziele geklammert wie der Jockey an sein Pferd. Ich habe auf meinen Stamm verzichtet, habe es hingenommen, mich von meiner Mutter zu trennen, habe eine Konzession nach der anderen gemacht, um mich voll und ganz meiner Karriere als Chirurg zu widmen. Ich hatte keine Zeit, mich für die Traumata zu interessieren, die jeden Aufruf zur Versöhnung der beiden auserwählten Völker zunichte machen, die beschlossen haben, Gottes Heiliges Land in ein Feld des Schreckens und des Jammers zu verwandeln. Ich

Weitere Kostenlose Bücher