Die Attentaeterin
verunsichern mich. Ich kann nicht glauben, dass ein Mann, der Gott so nahe sein soll, den Menschen so fern sein kann, so gleichgültig gegenüber ihrem Schmerz.
»Ich mag die Art nicht, wie Sie mit mir reden .«
»Es gibt sehr viele Dinge, die Sie nicht mögen, Herr Doktor. Ich denke nicht, dass Sie das von irgendetwas entbindet. Ich weiß nicht, wer für Ihre Erziehung zuständig war, doch eins ist gewiss: Sie waren in keiner guten Schule. Außerdem: nichts berechtigt Sie dazu, diese empörte Miene aufzusetzen oder sich über das einfache Volk zu erheben; weder Ihr sozialer Aufstieg noch der Mut Ihrer Frau, der, nebenbei bemerkt, Sie in unserer Achtung keineswegs steigen lässt. Für mich sind Sie nur ein armer Unglücklicher, eine erbärmliche Waise ohne Glaube und Heil, die wie ein Schlafwandler am helllichten Tag durch die Gegend irrt. Und auch wenn Sie über das Wasser wandelten, es wüsche Sie doch nicht rein von der Schande, die Sie verkörpern. Denn der wahre Bastard ist nicht der, welcher seinen Vater nicht kennt, sondern jener, der sein Vaterland nicht kennt. Von allen räudigen Schafen ist er am meisten zu bedauern und am wenigsten zu beklagen .«
Er mustert mich geringschätzig. Sein Mund sieht aus, als beiße er gleich zu: »Und jetzt gehen Sie! Sie bringen den bösen Blick in unser Haus .«
»Ich verbiete Ihnen …«
»Hinaus!« Sein Arm zuckt zum Vorhang, als ziehe er ein Schwert.
»Noch etwas, Herr Doktor: zwischen gesellschaftlicher Integration und persönlicher Isolation ist der Spielraum äußerst klein. Der geringste Hauch von Übereifer kann bereits alles verderben .«
»Sie Erleuchteter, Sie!«
»Von Gott Erleuchteter«, korrigiert er mich.
»Sie glauben tatsächlich, Sie seien mit einer göttlichen Mission betraut .«
»Das ist jeder Rechtschaffene. Andernfalls wäre er nur eitel, selbstsüchtig und ungerecht .«
Er klatscht in die Hände. Der Schüler, der offensichtlich hinter der Tür gelauscht hatte, taucht auf und packt mich erneut bei der Schulter. Ich stoße ihn erbost weg und wende mich zum Imam: »Ich werde Bethlehem nicht verlassen, solange ich keinen Verantwortlichen Ihrer Bewegung gesprochen habe .«
»Bitte gehen Sie endlich«, erwidert der Imam, greift nach seinem Buch auf dem Leseständer, nimmt wieder auf seinem Kissen Platz und tut so, als sei ich schon nicht mehr vorhanden.
Kim ruft mich auf meinem Handy an. Sie ist wütend, weil ich sie sitzen gelassen habe. Um sie versöhnlich zu stimmen, willige ich ein, dass sie nach Bethlehem nachkommt, und bestelle sie zu einer Tankstelle am Ortseingang. Von dort aus fahren wir zu meiner Milchschwester, die sich von ihrem letzten Rückfall noch nicht wieder erholt hat.
Überzeugt, dass die Männer des Imams sich schon bemerkbar machen würden, bleiben wir bei Leila am Krankenbett. Yasser stößt wenig später dazu. Er trifft Kim dabei an, wie sie sich gerade um seine Frau kümmert, und versucht gar nicht erst herauszufinden, ob es eine Freundin von mir oder eine in der Not herbeigerufene Ärztin ist. Wir ziehen uns in ein Zimmer zurück, um ein wenig zu plaudern. Um mich daran zu hindern, ihm den Feierabend zu verderben, zählt er mir sämtliche Gefahren auf, die seine Ölpresse bedrohen, die Schulden, die ihm über den Kopf wachsen , der erpresserische Druck, den seine Gläubiger auf ihn ausüben. Ich höre ihm zu, bis ihm die Puste ausgeht. Dann berichte ich ihm meinerseits von meiner kurzen Unterredung mit dem Imam. Er begnügt sich damit, hin und wieder zu nicken, während sich auf seiner Stirn eine tiefe Falte abzeichnet. Vorsichtig, wie er ist, riskiert er keinen Kommentar, doch die Haltung des Imams mir gegenüber beunruhigt ihn ernstlich.
Am Abend beschließe ich, da bislang nichts passiert ist, mich nochmals zur Moschee aufzumachen. In einer schmalen Gasse fallen zwei Männer über mich her. Der erste packt mich am Kragen und schlägt mir mit dem Fuß die Beine weg; der zweite verpasst mir einen gezielten Kniestoß in die Seite, bevor ich am Boden aufschlage. Ich bringe mein verletztes Handgelenk unter der Achsel in Sicherheit, schirme mein Gesicht mit beiden Armen ab und krümme mich, so gut es geht, um mich vor den Hieben zu schützen, die von allen Seiten auf mich niederprasseln. Die beiden Männer lassen nicht von mir ab und versprechen, mich an Ort und Stelle zu lynchen, wenn sie mich noch einmal hier herumstreichen sehen. Ich versuche, mich hochzurappeln und zum nächsten Torbogen zu schleppen. Doch sie
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