Die Attentaeterin
Abstand, um die letzten Tage in Ruhe zu überdenken .«
Kim fürchtet vor allem, dass ich mir etwas antun könnte, dass ich die Einsamkeit nicht ertrage, dass am Ende der Aufruhr, der noch immer in meinem Innern tobt, die Oberhand gewinnt. Sie meint, ich sei um Haaresbreite von einer Depression entfernt, stehe kurz vor dem letzten, dem unumkehrbaren Schritt. Sie muss es mir gar nicht erklären, alles an ihr verrät, wie ungeheuer besorgt sie ist: ihre Finger, die auf alles und jedes eintrommeln, ihre Lippen, die ratlos hin und her zucken, ihr Blick, der sich meinem entzieht, sobald meiner zu eindringlich wird, ihre Kehle, die sie jedes Mal räuspern muss, wenn sie mir etwas zu sagen hat … Ich frage mich, wie sie es hinbekommt, nie den Faden zu verlieren und mit gleichbleibender Wachsamkeit jeden meiner Schritte zu verfolgen.
»Einverstanden«, lenkt sie ein. »Ich setze dich bei dir ab und komme dich dann heute Abend wieder abholen. Wir können bei mir zu Abend essen .«
Ihre Stimme klingt verlegen.
Ich warte geduldig, bis sie sich mir wieder zugewandt hat, dann sage ich: »Ich muss für eine Weile allein bleiben .«
Sie tut so, als würde sie nachdenken, dann erkundigt sie sich mit verzerrtem Mund: »Bis wann ?«
»Bis sich alles ein bisschen gesetzt hat .«
»Das kann aber lange dauern .«
»So schlecht steht es nun auch wieder nicht um mich«, beschwichtige ich sie. »Ich muss nur einfach mal zur Ruhe kommen und richtig abschalten .«
»Na großartig«, kommentiert sie in einem schlecht unterdrückten Anflug von Wut.
Nach langem Schweigen fährt sie fort: »Kann ich wenigstens mal vorbeikommen, um nach dir zu sehen ?«
»Ich ruf dich an, sobald es geht .« Das war ein weiterer Schlag für sie.
»Nimm es nicht persönlich, Kim. Das hat nichts mit dir zu tun. Ich weiß, es ist schwer zu akzeptieren, aber du verstehst sicher, warum ich so handle .«
»Ich will nicht, dass du dich isolierst, das ist alles. Ich finde, du bist noch nicht so weit, um dich allein wieder zu fangen. Und es liegt mir nichts daran, mir die Finger vor Verzweiflung bis zum Stumpf abzunagen .«
»Das würde ich mir verübeln .«
»Wie wäre es, wenn du dich von Professor Menach untersuchen ließest? Er ist ein berühmter Analytiker und ein guter Freund von dir .«
»Ich werde zu ihm gehen, versprochen, aber nicht in dem Zustand, in dem ich gerade bin. Ich muss mich erst mal selber wieder in den Griff bekommen. Dann wäre ich auch in einer besseren Verfassung, um zuhören zu können .«
Sie setzt mich bei mir ab, wagt nicht, mich bis ins Haus zu begleiten. Bevor ich das Gartentor hinter mir schließe, lächle ich ihr zu. Sie zwinkert traurig zurück.
»Versuche, dir von deinem Zeichen nicht die Existenz verderben zu lassen, Amin. Auf Dauer zermürbt das, und irgendwann wirst du dich beim Versuch, dich in den Griff zu bekommen, wie eine morsche Mumie in Staub auflösen .«
Ohne meine Antwort abzuwarten, braust sie los.
Als das Geräusch des Nissan verklungen ist und ich allein mit meinem Haus und seiner Stille bin, wird mir das volle Ausmaß meiner Einsamkeit bewusst. Kim fehlt mir schon jetzt …
Ich bin wieder allein … Ich lass dich nicht gern allein, hatte Sihem am Abend vor ihrer Abreise nach Kafr Kanna zu mir gesagt. Und plötzlich ist alles wieder da.
Gerade in dem Moment, in dem ich am wenigsten damit gerechnet habe. Sihem hatte mir an jenem Abend ein fürstliches Mahl zubereitet; alle meine Lieblingsgerichte. Wir saßen bei Kerzenschein im Wohnzimmer und dinierten. Sie aß so gut wie nichts, stocherte nur ein bisschen auf ihrem Teller herum. Sie war so schön und so weit weg zugleich. »Warum bist du traurig, Liebes ?« , fragte ich sie.
»Ich lass dich nicht gern allein, mein Schatz«, antwortete sie. »Drei Tage, das ist doch nicht lange«, sagte ich. »Für mich ist es eine Ewigkeit«, gestand sie mir. Da war sie, ihre Botschaft, das Zeichen, das ich nicht erkannt hatte. Aber wie sollte ich hinter dem Glanz ihrer Augen den Abgrund erahnen? Wie hinter so viel Großzügigkeit den Abschied, als sie sich mir hingab in dieser Nacht wie noch nie zuvor?
Ich bleibe eine weitere Ewigkeit lang zitternd auf der Schwelle stehen, bevor ich endlich mein Haus betrete.
Die Putzfrau war noch immer nicht da. Ich versuche, sie telefonisch zu erreichen, aber da ist nur der Anrufbeantworter. Ich beschließe, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Das Haus ist noch immer in dem Zustand, in dem die Männer von Hauptmann Moshe es
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