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Die Attentaeterin

Die Attentaeterin

Titel: Die Attentaeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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Mund am Boden gefunden hat, nun schon seit Stunden hier herumsitzt und ganz vergessen hat, die Hunde loszumachen. Der Anfall der Großmutter scheint ihm eher lästig zu sein, als ihn aufzuwühlen.
    Wir warten, bis irgendwann ein Arzt kommt und uns mitteilt, dass der Eingriff vorüber ist. Großmutters Zustand sei stabil, aber ihre Chancen, noch einmal davonzukommen, seien minimal. Abbas bittet um Erlaubnis, auf den Hof zurückzukehren.
    »Ich muss die Hühner füttern«, brummt er vor sich hin, ohne sich wirklich für den Bericht des Arztes zu interessieren.
    Er klettert in seinen rostigen Lieferwagen und brettert nach Kafr Kanna zurück. Ich fahre ihm hinterher. Erst als alle Aufgaben auf seinem Hof erledigt sind, das heißt gegen Abend, merkt er, dass ich noch da bin.
    Er bestätigt, Sihem des Öfteren in Begleitung des Jungen auf dem Foto gesehen zu haben. Das erste Mal, als er zum Friseursalon zurückkehrte, um Sihem ihr Portemonnaie zu bringen, das sie auf dem Sitz des Lieferwagens vergessen hatte. Da überraschte er sie, wie sie mit diesem Jungen redete. Am Anfang dachte sich Abbas nichts dabei. Aber später, nachdem er sie an verschiedenen Orten zusammen gesehen hatte, begann er, Verdacht zu schöpfen. Doch erst, als der Junge vom Foto es wagte, sich auf dem Hof zu zeigen, drohte Abbas, ihm den Schädel mit der Spitzhacke einzuschlagen. Sihem nahm ihm das sehr übel und ließ sich seitdem nicht mehr in Kafr Kanna blicken.
    »Das ist unmöglich«, wende ich ein, »Sihem hat die beiden letzten Opferfeste bei ihrer Großmutter verbracht .«
    »Sie ist nicht mehr wiedergekommen, seit ich dem Burschen die Meinung gesagt habe .«
    Dann, und dazu muss ich allen Mut sammeln, frage ich ihn, welcher Art die Beziehung zwischen meiner Frau und dem Jungen auf dem Foto war. Verwundert über meine naive Frage, mustert er mich mit verächtlichem Grinsen und knurrt: »Oh Mann, soll ich dir ein Bild malen, oder was ?«
    »Hast du dafür Beweise ?«
    »Ich hab doch Augen im Kopf. Ich brauche sie doch nicht erst dabei zu erwischen, wie sie sich küssen. Die Art, wie sie sich an den Wänden entlanggedrückt haben, hat mir gereicht .«
    »Und warum hast du mir nie was gesagt ?«
    »Weil du mich nie gefragt hast. Und außerdem stecke ich meine Nase nicht in jeden Dreck .«
    Und in dieser Sekunde habe ich ihn verabscheut, wie ich noch nie im Leben jemanden verabscheut habe.
    Ich steige in meinen Wagen und brause ohne einen Blick in den Rückspiegel los. Mit durchgedrücktem Gaspedal, ohne zu wissen, wohin. Ob ich aus der Kurve fliege oder mit voller Wucht in einen LKW-Anhänger, ich fürchte keine Gefahr. Ich glaube, ich warte nur darauf, fordere sie geradezu heraus, aber die Straße ist grausam leer. Wer zu viel träumt, vergisst zu leben. Hat meine Mutter immer zu meinem Vater gesagt. Mein Vater hat ihr nie zugehört. Er hat weder die Verzweiflung der Geliebten bemerkt noch die Einsamkeit der Gefährtin. Da war eine Art unsichtbare Membran zwischen ihnen, hauchdünn, doch stark genug, sie auseinander zu halten wie Tag und Nacht. Mein Vater hatte Augen nur für sein Gemälde, immer dasselbe, an dem er im Sommer wie im Winter malte, das er derart überlud, dass es unter all den Retuschen am Ende verschwand, bis er auf einer neuen Staffelei von vorn damit begann, mit immer demselben Motiv, detailgetreu bis ins Kleinste, in der festen Überzeugung, seine Madonna in Handschellen in den Rang einer Mona Lisa zu erheben, die ihm die weite Welt öffnen würde und ihn mit den Lorbeeren der berühmtesten Museen krönen. Und weil er für nichts sonst Augen hatte, nur für diese unvorstellbare Bestätigung, nahm er nichts von dem wahr, was um ihn her vorging, weder den Frust einer vernachlässigten Ehefrau noch den Zorn eines gestürzten Patriarchen … Vielleicht war mir dasselbe mit Sihem passiert. Sie war mein Gemälde, meine denkbar größte Bestätigung. Ich sah nur die Freuden, mit denen sie mich überhäufte, und ahnte nichts von ihrem Kummer, ihren Schwächen … Ich lebte nicht wirklich mit ihr, nein – andernfalls hätte ich sie weniger idealisiert, weniger isoliert. Wenn ich es recht bedenke, wie hätte ich auch mit ihr leben können, da ich doch unablässig von ihr träumte ?

13.
    H err Jaafari , ruft es durch eine endlose Reihe unterirdischer Gänge … Herr Jaafari … Die Stimme verliert sich im vielfachen Echo, vermischt sich mit meinem Gestammel, kommt und geht wie ein immerwährendes Leitmotiv, bald eindringlich, bald

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