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Die Attentaeterin

Die Attentaeterin

Titel: Die Attentaeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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nicht gerade der ideale Ort, um geschäftlich zu investieren, Yasser. Dschenin liegt in Schutt und Asche .«
    »Hör zu, ich versichere dir, dass er nach allem, was mir zu Ohren gekommen ist, in Dschenin ist. Ich hab keinen Grund, dich anzulügen. Ich gebe dir Bescheid, sobald er zurück ist, wenn du willst … Darf ich wissen, worum es geht? Was ist mit meinem Sohn, dass du zu so einer Stunde anrufst ?«
    Ich hänge auf.
    Ich weiß nicht warum, aber ich fühle mich schon etwas besser.

    Der Nachtportier ist nicht begeistert, um drei Uhr früh aus dem Bett geklingelt zu werden – das Hotel macht um Mitternacht dicht, aber ich habe den Türcode vergessen. Er ist ein junger Mann, dünn wie ein Strich, vermutlich ein Student, der seine Nächte damit verbringt, den Schlaf der anderen zu bewachen, um sein Studium zu finanzieren. Er öffnet mir mürrisch, sucht meinen Schlüssel und findet ihn nirgends.
    »Sind Sie sicher, dass Sie ihn abgegeben haben, bevor Sie gegangen sind ?«
    »Warum sollte ich mich denn mit einem Schlüssel belasten ?«
    Er bückt sich, taucht hinter der Rezeption ab, wühlt im Papierkram und in den Zeitschriften herum, die sich um ein Faxgerät und einen Fotokopierer herum stapeln, und kommt unverrichteter Dinge wieder hoch.
    »Das ist seltsam .«
    Er überlegt, versucht sich zu entsinnen, wo die Zweitschlüssel verwahrt sind, doch so richtig wach wird er dabei nicht.
    »Haben Sie schon in Ihren Taschen nachgesehen ?«
    »Ich hab Ihnen doch gesagt, dass ich den Schlüssel nicht bei mir habe«, antworte ich und beginne, in meinen Taschen zu suchen.
    Mein Arm erstarrt: der Schlüssel steckt tatsächlich in meiner Hosentasche. Ich ziehe ihn verwirrt hervor. Der Nachtportier unterdrückt einen Seufzer, sichtlich genervt. Er beherrscht sich und wünscht mir eine gute Nacht.
    Der Aufzug ist außer Betrieb, und so nehme ich die schmale Treppe bis in den fünften Stock, stelle dann fest, dass mein Zimmer im dritten Stock liegt, kehre wieder um.
    Im Zimmer mache ich erst gar kein Licht an.
    Ich ziehe mich aus, lege mich aufs Bett, ohne es aufzuschlagen, und starre zur Decke hoch, die mich langsam wie ein schwarzes Tuch bedeckt.

    Ab dem fünften Tag merke ich, dass mich nach und nach der Verstand verlässt. Meine Reflexe sind schneller als meine Absichten, meine Ungeschicklichkeit fällt schwerer ins Gewicht. Den Tag verbringe ich in meinem Zimmer eingekapselt, auf dem Stuhl zusammengesunken oder auf dem Bett ausgestreckt, die Augen so weit verdreht, als wollte ich meinen Hintergedanken auf die Schliche kommen. Seltsame Ideen setzen mir zu, lassen mir keine Ruhe: ich erwäge, einen Immobilienmakler mit dem Verkauf der Villa zu beauftragen, einen Strich unter die Vergangenheit zu ziehen und nach Europa oder Amerika auszuwandern … Nachts mache ich, wie ein Raubtier auf Beutezug, zwielichtige Tavernen unsicher, Orte, an die ich nie zuvor einen Fuß gesetzt habe und an denen ich sicher sein kann, nicht auf einen Bekannten oder einen ehemaligen Kollegen zu stoßen. Das schummerige Licht dieser von Tabakqualm und ranzigen Ausdünstungen verseuchten Bars gibt mir ein eigenartiges Gefühl der Unsichtbarkeit. Bei all den krakeelenden Trunkenbolden und Frauen mit träumerischem Blick achtet kein Mensch auf mich . Ich suche mir einen Tisch in irgendeinem Winkel, wohin sich keins der beschwipsten Mädchen vorwagt, und zeche ungestört, bis man mir mitteilt, dass die Polizeistunde naht. Dann ziehe ich los, meinen Rausch auszuschlafen, auf immer derselben Parkbank, und kehre erst im Morgengrauen ins Hotel zurück.
    Und irgendwann, in einer Brasserie, entgleiten die Dinge meiner Kontrolle. Die Wut, die seit Tagen in mir schwelt, hat sich am Ende verdoppelt. Ich sah es kommen. So blank, wie meine Nerven lagen, war mir klar, dass mir früher oder später alle Sicherungen durchbrennen würden. Mein Ton und meine Antworten waren barsch. Ich hatte überhaupt keine Geduld, reagierte überempfindlich, wenn ein fremder Blick mich traf. Kein Zweifel, aus mir wurde ein anderer, jemand, der unberechenbar war und doch verlockend faszinierend. Aber heute Abend in dieser Brasserie, da übertreffe ich mich selbst. Es geht damit los, dass mir der Platz, den man mir angewiesen hat, nicht gefällt. Ich wollte einen diskreten Ort, nur dass es nicht mehr genügend freie Tische gab. Ich habe mich erst gesträubt, dann gefügt. Als Nächstes erfahre ich von der Kellnerin, dass es keine gegrillte Leber mehr gibt. Sie wirkt offen und ehrlich,

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