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Die Attentaeterin

Die Attentaeterin

Titel: Die Attentaeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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erschreckt. Ein Abgrund verschluckt mich, ich falle wie in Zeitlupe durch die Dunkelheit … Herr Jaafari … Ein greller Streifen zuckt durch das Dunkel und dringt in meine Augen wie eine gleißende Flamme.
    »Herr Jaafari …«
    Ich komme zu mir, mein Kopf fühlt sich an wie aus Holz.
    Ein Mann steht da, über mich gebeugt, eine Hand auf dem Rücken, die andere fingerbreit vor meiner Stirn. Sein schmales Gesicht mit dem spitzen Kinn ist mir nicht bekannt. Ich versuche herauszufinden, wo ich bin. Ich liege auf einem Bett, mit trockener Kehle und zerschlagenen Gliedern. Die Zimmerdecke droht über mir einzustürzen. Ich schließe die Augen, um den Schwindel zu kontrollieren, der mich mitreißen will und erneut zu überwältigen droht. Ich versuche mühsam, wieder klare Gedanken zu fassen und mich zu orientieren. Langsam erkenne ich an der Wand gegenüber die Billigkopie der Sonnenblumen von van Gogh, die verblichene Tapete, das trostlose Fenster, das auf die Dächer einer Fabrik hinausgeht …
    »Was ist los ?« , frage ich und stütze mich auf einen Ellenbogen.
    »Ich glaube, es geht Ihnen nicht so gut, Herr Jaafari .«
    Mein Ellenbogen rutscht weg, und ich sinke aufs Kopfkissen zurück.
    »Sie sind seit zwei Tagen hier im Zimmer, Sie haben es nicht einmal verlassen .«
    »Wer sind Sie ?«
    »Der Inhaber dieses Hotels. Die Putzfrau …«
    »Was wollen Sie ?«
    »Uns vergewissern, dass es Ihnen gut geht .«
    »Warum?«
    »Sie sind vor zwei Tagen bei uns eingetroffen. Sie haben dieses Zimmer genommen und sich darin eingeschlossen. Es kommt schon mal vor, dass unsere Gäste das tun, aber …«
    »Es geht mir gut .«
    Der Hotelbesitzer richtet sich emsig wieder auf. Er weiß nicht, was er von meiner Antwort halten soll, geht ums Bett herum und öffnet das Fenster. Ein Schwall Frischluft ergießt sich ins Zimmer, schwappt mir ins Gesicht. Ich atme tief durch, bis mir das Blut in den Schläfen pocht.
    Mechanisch streicht der Hotelier die Bettdecke über meinen Füßen glatt. Er mustert mich aufmerksam, hüstelt in die Faust und bemerkt: »Wir haben einen guten Arzt, Herr Jaafari. Wenn Sie wollen, können wir ihn rufen .«
    »Ich bin selber Arzt«, entgegne ich und quäle mich aus dem Bett.
    Doch mir schlottern die Knie, ich schaffe es nicht, stehen zu bleiben, lasse mich wieder auf die Bettkante fallen, das Gesicht auf beide Hände gestützt. Den Hotelier macht meine Blöße, da ich nur mit einem Slip bekleidet bin, ganz verlegen. Er stottert etwas, das ich nicht verstehe, und verlässt rückwärts den Raum.
    Meine Gedanken fügen sich nach und nach zusammen, und plötzlich ist mein Gedächtnis wieder da. Ich erinnere mich, dass ich in hohem Tempo aus Kafr Kanna wegfuhr, wegen Überschreitung des Tempolimits auf der Höhe von Afula einen Strafzettel bekam und Tel Aviv in einem desaströsen Zustand erreichte. Da wurde es gerade dunkel. Ich habe vor dem erstbesten Hotel am Straßenrand gehalten. Unfähig, in diesem Zustand nach Hause zurückzukehren, wo die Lüge meines Lebens auf mich wartete. Während der Fahrt habe ich ununterbrochen die Welt und mich selbst verflucht, den Fuß voll auf dem Gaspedal, begleitet vom schrillen Quietschen der Reifen, das in mir wie eine infernalische Sirene nachhallte. Es war, als wollte ich auf Teufel komm raus die Schallmauer durchbrechen, die Schwelle der Realität zum Jenseits erreichen, mich in die Reste meiner zerstörten Selbstachtung auflösen. Es schien nichts mehr zu geben, das mich noch hätte zurückhalten und mich mit der Zukunft aussöhnen können. Welcher Zukunft überhaupt? Gibt es ein Leben nach dem Verrat, eine Erholung nach solchem Schmerz? Ich fühlte mich derart elend und lächerlich, dass der bloße Gedanke an Selbstmitleid mich auf der Stelle zerstört hätte. Als die Stimme von Abbas mich einholte, ließ ich den Motor aufheulen, so laut, dass er fast explodierte. Ich wollte nichts mehr spüren außer dem Dröhnen der Reifen in den engen Kurven und der Wut, die mich ausfüllte und mein Innerstes zerfraß. Ich fand nicht eine einzige Entschuldigung für mich, suchte gar nicht danach, weil ich sie nicht verdiente. Ich überließ mich voll und ganz dieser Wut, die sich immer weiter in mir ausbreitete, bis in die Haarwurzeln und die Fingerspitzen hinein.
    Das Hotel hat schon bessere Tage gesehen. Das Neonschild ist ramponiert. Ich habe mir ein Zimmer genommen, es schien mir, als wäre es die letzte Handlung meines Lebens. Ich habe siedend heiß geduscht, in einem Lokal zu

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