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Die Attentaeterin

Die Attentaeterin

Titel: Die Attentaeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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genau wissen willst.
    Das sind Rassisten. Der andere hat angefangen, aber das passende Gesicht für so etwas hab ich ja. Ich bin doch nicht deshalb schon schuldig, weil ich aus einem Kommissariat herauskomme. Mir reicht es für heute Abend. Ich will nur noch in mein Hotel zurück. Ich verlange doch nicht, dass für mich der Mond vom Himmel geholt wird, verflixt noch mal! Was ist daran so schlimm, dass man mal allein sein will ?«
    »Überhaupt nichts«, entgegnet Naveed und stemmt mir die Hand gegen die Brust, um mich daran zu hindern, weiterzulaufen. »Außer, dass du dir schaden kannst, wenn du dich weiter so absonderst. Du musst dich wieder in den Griff bekommen, verstehst du? Du bist dabei, völlig auszurasten. Und du irrst dich, wenn du glaubst, du wärst allein. Du hast noch Freunde, auf die du zählen kannst .«
    »Und auf dich kann ich zählen ?«
    Meine Frage überrascht ihn. Er breitet die Arme aus und sagt: »Aber natürlich .«
    Ich sehe ihn scharf an. Er wendet den Blick nicht ab, nur ein Muskel zuckt leicht auf seiner Wange.
    »Ich will hinüber auf die andere Seite des Spiegels«, murmele ich, »auf die andere Seite der Mauer .«
    Er runzelt die Stirn, beugt sich vor, um mir näher ins Gesicht zu sehen. »Nach Palästina?«
    »Ja.«
    Er verzieht den Mund, blickt zu den beiden Polizisten hinüber, die uns unauffällig beobachten.
    »Ich dachte, dieses Problem hättest du geklärt ?«
    »Das dachte ich auch .«
    »Und was hat dich jetzt wieder wild gemacht ?«
    »Nun, sagen wir, es ist eine Frage der Ehre .«
    »Die deine ist intakt, Amin. Du bist nicht schuld am Unrecht, das dir andere zufügen, sondern nur an dem, was du ihnen zufügst .«
    »Eine bittere Pille.«
    »Du musst sie ja nicht schlucken .«
    »Da irrst du dich aber .«
    Naveed fasst sich mit Daumen und Zeigefinger ans Kinn.
    Er kann sich nicht vorstellen, wie das gehen soll, ich in Palästina, so depressiv, wie ich bin, und sucht nach irgendeiner List, um mich davon abzubringen.
    Doch da ihm nichts einfällt, sagt er nur: »Das wäre keine gute Idee .«
    »Eine andere habe ich nicht .«
    »Wo genau willst du denn hin ?«
    »Nach Dschenin.«
    »Die Stadt ist im Belagerungszustand«, warnt er mich.
    »Das bin ich auch … Du hast meine Frage noch nicht beantwortet. Kann ich auf dich zählen ?«
    »Ich nehme an, dass dich nichts und niemand zur Vernunft bringen könnte .«
    »Was soll das schon heißen, Vernunft …? Kann ich auf dich zählen, ja oder nein ?«
    Er ist verlegen und betrübt zugleich.
    Ich wühle in meinen Taschen, finde eine zerknitterte Schachtel Zigaretten, ziehe eine hervor und stecke sie mir zwischen die Lippen. Dann merke ich, dass mein Feuerzeug weg ist.
    »Ich habe kein Feuer«, entschuldigt Naveed sich. »Du solltest auch mit dem Rauchen aufhören .«
    »Kann ich auf dich zählen ?«
    »Ich wüsste nicht, wie. Du begibst dich auf vermintes Gebiet, auf dem ich keinerlei Einfluss habe, mein schützender Arm reicht nicht bis dorthin. Ich weiß nicht, was du dir da wieder beweisen willst. Dort gibt es nichts für dich zu holen. Da fliegen dir überall die Kugeln um die Ohren, und die verirrten Kugeln richten mehr Schaden an als die regulären Gefechte. Lass es dir gesagt sein, Bethlehem ist im Vergleich zu Dschenin der reinste Erholungsort .«
    Er bemerkt seinen Fauxpas, versucht, ihn ungeschehen zu machen – zu spät. Sein letzter Satz explodiert in mir wie eine Sprengkapsel. Ich schlucke krampfhaft einige Male, bevor ich ihm gepresst sage: »Kim hat mir versprochen, nichts zu sagen, und sie hat immer Wort gehalten. Wenn sie also nicht geredet hat, woher weißt du dann, dass ich in Bethlehem war ?«
    Naveed steht dumm da, mehr aber auch nicht. Sein Gesicht verrät nicht die leiseste Regung.
    »Was hättest du denn an meiner Stelle gemacht ?« , fragt er aufgebracht. »Die Frau meines besten Freundes ist eine Selbstmordattentäterin. Sie hat uns alle total überrollt, ihren Mann, ihre Nachbarn, ihre nächsten Angehörigen. Du wolltest wissen, wie und warum? Das ist dein gutes Recht. Aber es ist auch meine Pflicht .«
    Ich fasse es nicht.
    Ich bin wie vor den Kopf gestoßen.
    »So ist das !« , sage ich nur.
    Naveed versucht, sich mir zu nähern. Ich hebe abwehrend beide Hände, damit er bleibt, wo er ist, biege in die nächste Gasse ein und verschwinde in der Nacht.

14.
    I n Dschenin sieht es aus, als hätte die Vernunft jede Verantwortung abgegeben und auch jede Hoffnung, nochmals gebraucht zu werden. Die fröhliche

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