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Die Attentaeterin

Die Attentaeterin

Titel: Die Attentaeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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zehn Jahre älter als ich, aber Jamil und ich, wir waren als Jugendliche fast unzertrennlich. In letzter Zeit sehen wir uns kaum noch, wegen der Verschiedenheit unserer beiden Berufe, ich als Chirurg in Tel Aviv und er als Transportbegleiter in Ramallah, doch wenn er zufällig durch meine Gegend muss, kommt Jamil immer auf einen Sprung vorbei. Er ist ein braver Familienvater, liebevoll und aufopfernd. Er schätzt mich sehr und hat sich von unserer früheren Verbundenheit her eine zärtliche Zuneigung zu mir bewahrt, die durch nichts zu erschüttern ist. Als ich ihm meinen Besuch ankündigte, hat er seinen Chef sofort um Urlaub gebeten, damit er sich um mich kümmern kann. Er weiß Bescheid über Sihem. Yasser hat ihm von meinem turbulenten Aufenthalt in Bethlehem erzählt und auch nicht verschwiegen, dass auf mir der Verdacht lastet, ich hätte mich vom israelischen Geheimdienst manipulieren lassen. Jamil wollte nichts davon wissen. Er hat mir gedroht, nie wieder ein Wort mit mir zu reden, wenn ich mich bei jemand anderem als ihm einquartieren würde.
    Ich habe zwei Nächte in Ramallah verbracht, weil der Mechaniker mein Auto nicht reparieren konnte. Jamil musste einen anderen Cousin um Hilfe bitten, damit der uns sein Auto ausleiht, und ihm versprechen, es bis zum Abend zurückzubringen. Er dachte, er könnte mich bei seinem Bruder Khalil absetzen und gleich wieder umkehren.
    »Gibt es hier irgendwo ein Hotel ?« , frage ich den Nachbarn.
    »Sicher, aber bei all den Journalisten, die sich hier herumtreiben, sind sie alle belegt. Sie können gerne bei mir auf Khalil warten. Es stört mich nicht. Der gute Gläubige hat immer ein Bett für den Gast .«
    »Vielen Dank«, sage ich, »aber wir kommen schon allein zurecht .«

    Wir finden ein freies Zimmer in einer Art Herberge, nicht weit von Khalils Haus entfernt. Der Empfangschef lässt mich im Voraus bezahlen und begleitet mich dann in den zweiten Stock, wo er mir ein Kabuff mit einem schmalen Bett, einem behelfsmäßigen Nachttisch und einem Metallstuhl zeigt. Er weist mich auf die Toiletten am Ende des Ganges hin, auf den vielleicht später einmal nützlichen Notausgang und überlässt mich dann meinem Schicksal. Jamil ist im Warteraum geblieben. Ich lege meine Tasche auf den Stuhl und öffne das Fenster, das zur Innenstadt geht. In weiter Ferne werfen Banden von Jungs Steine auf israelische Panzer und machen sich unter den Schüssen der Soldaten schnell aus dem Staub. Tränenbomben verbreiten ihren weißlichen Rauch in staubigen Straßen. Eine Menschentraube versammelt sich um ein am Boden liegendes Opfer … Ich schließe das Fenster und gehe zu Jamil ins Erdgeschoss hinunter. Zwei Journalisten in zerknitterter Kleidung schlafen auf einem Sofa, ihre Ausrüstung ringsumher verstreut. Der Empfangschef macht uns darauf aufmerksam, dass es hinten rechts eine kleine Bar gibt, für den Fall, dass wir etwas trinken oder einen Happen essen wollen. Jamil bittet mich um die Erlaubnis, nach Ramallah zurückzufahren.
    »Ich werde noch mal bei Khalil vorbeischauen und dem Nachbarn die Hoteladresse geben, wo er dich kontaktieren kann, sobald mein Bruder zurück ist .«
    »Sehr gut. Ich rühre mich nicht aus dem Hotel. Außerdem wüsste ich gar nicht, wo ich mir hier die Beine vertreten könnte .«
    »Du hast recht , bleib ruhig auf deinem Zimmer, bis dich jemand holt. Khalil kommt sicher noch heute oder spätestens morgen zurück. Er lässt das Haus nie völlig ohne Aufsicht .«
    Er umarmt mich und drückt mich fest an sich. »Sei bloß nicht leichtsinnig, Amin .«

    Nachdem Jamil fort ist , gehe ich in die Bar, bestelle mir einen Kaffee und rauche ein paar Zigaretten. Irgendwann tauchen bewaffnete Jugendliche in kugelsicheren Westen mit grünen Stirnbändern auf und lassen sich in einer Ecke nieder, im Schlepptau ein französisches Fernsehteam. Der jüngste der Kämpfer kommt zu mir herüber, erklärt mir, dass es sich um ein Interview handelt, und bittet mich höflich, mich woanders hinzusetzen.
    Ich ziehe mich in mein Zimmer zurück und öffne das Fenster ein zweites Mal, diesmal mit Aussicht auf eine Reihe regulärer Gefechte. Ein Anblick, bei dem sich mein Herz zusammenzieht … Dschenin … die große Stadt meiner Kindheit. Da die Ländereien unseres Stammes nur rund dreißig Kilometer entfernt sind, begleitete ich meinen Vater oft nach Dschenin, wenn er sich dorthin begab, um seine Gemälde irgendeinem zwielichtigen Kunsthändler anzubieten. Zu der Zeit erschien mir

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