Die Attentäterin
losjault.
»Versteck dich.«
Raman duckt sich unter das Armaturenbrett.
Tikki setzt die Uniformmütze des Cops auf, damit ihre Silhouette einem Cop ähnlicher wird. Die Mütze paßt nicht besonders gut, aber sie braucht sie nicht lange aufzubehalten, und niemand draußen wird mehr als einen raschen Blick auf sie werfen können. Sie jagt den Interceptor mit neunzig Stundenkilometern durch die Mautstelle und tritt dann noch fester auf das Gaspedal. Von draußen ist kurz das Jaulen von Alarmsirenen zu hören, dann verschwindet die Mautstelle rasch hinter ihnen.
Tikki läßt den Fuß auf dem Gaspedal. Sie kann keine direkten Verfolger ausmachen. Die Fahrbahnen vor ihr vereinigen sich mit der Interstate. Sie schaltet die Sirene ab, fährt auf die äußerste linke Spur und schaltet dann auch das Blaulicht aus. Mit annähernd zweihundert Stundenkilometern schießen sie am übrigen Verkehr vorbei und kommen rasch vorwärts. Wenn ein Auto vor ihr keinen Platz macht, weicht Tikki auf die Standspur aus.
»Ist es klug, so schnell zu fahren?« fragt Raman, der sich wieder aufgerichtet hat.
»Willst du aussteigen?«
Raman grinst. »Blöde Frage.«
»Welche?«
»Beide.«
Da ist vielleicht etwas Wahres daran.
Sie sind nördlich von Trenton, als die Stimmen im Polizeifunk zum erstenmal von einem gestohlenen Polizeiwagen reden. Das war unvermeidlich, aber Tikkis Idee scheint sich ausgezahlt zu haben. Sie befinden sich gute fünfzig oder sechzig Kilometer nördlich von ihrer letzten bekannten Position. Gewiß, jeder Cop in dieser Gegend wird bald nach ihnen Ausschau halten, aber sobald sie den Wagen aufgeben, machen sie sich buchstäblich unsichtbar.
Kurz vor der nächsten Raststätte fährt Tikki den Interceptor von der Straße. Sie schlagen sich durch ein paar Büsche und erreichen schließlich den Parkplatz der Raststätte. Raman schließt wieder ein Motorrad kurz. Bei Tagesanbruch sind sie kurz vor Hartford. Zwei Tage später fahren sie irgendwo in einer Gegend namens Maine einen zugewachsenen Weg entlang. Am Ende des Weges stoßen sie auf eine Lichtung und eine alte Holzhütte. Raman fährt den Hobel direkt in die Hütte, wo er nicht zu sehen ist. Das Innere der Hütte ist verstaubt und alt, aber es reicht, um ihre Ausrüstung dort unterzubringen, und Tikki hat sowieso nicht vor, viel Zeit drinnen zu verbringen.
Um Mitternacht liegen sie am grasbewachsenen Ufer des möglicherweise letzten Teichs in ganz Nordamerika, der nicht mit Giftmüll verseucht ist. Ein Stück weiter weg liegt ein halb verzehrter Hirschkadaver. Die Nacht ist kühl und ruhig und von der satten Süße des Sommers erfüllt, einer Süße, über die Tikki nachdenkt und an der sie sich später vielleicht einmal wird erfreuen können. Die Zeit in Philadelphia hat ihrer Faszination für Menschen und deren Städte einen Dämpfer verpaßt. Sie ist froh, lebendig aus allem herausgekommen zu sein. Sie hat viel zuviel Zeit mit Menschen und viel zuwenig Zeit in der Wildnis verbracht. Sie weiß nicht mehr, was sie ist. Ein rücksichtsloser Killer? Nach menschlichen Maßstäben ist das wohl alles, was sie je gewesen ist. Sie fragt sich, ob sie mehr sein sollte. Besser. Eine Sache, über die sie nachdenken, die sie sich überlegen muß.
Raman sagt, er mag kein kühles Wetter. Das ist nicht weiter verwunderlich für jemanden aus der Gegend nördlich von Bombay, aber darum wird sie sich später Gedanken machen, wenn der Herbst vor der Tür steht.
Einstweilen gibt es nur sie beide, wie lange es auch dauern mag. Ihr Schwanz zuckt träge über sein Gesicht, und er reagiert darauf mit einem Knurren und stellt sich hinter sie. Die Laute, die er ausstößt, und die Gerüche, die er verströmt, verraten ihr zweifelsfrei, wie enthusiastisch seine Reaktion ausfällt. Tikki ist mehr als bereit mitzumachen. Sie nimmt an, daß ihre Mutter das gemeint hat, als sie zu ihr sagte: »Wenn deine Paarungszeit kommt, wirst du es wissen.« Es ist eine Zeit für Veränderungen. Und andere Dinge...
Nach kurzer Zeit hat Raman sie so weit, daß sie vor Erregung knurrt.
Sogar brüllt.
Glossar
Arcologie - Abkürzung für ›Architectural Ecology‹. In Seattle ist sie der Turm des Renraku-Konzerns, ein Bauwerk von gigantischen Ausmaßen. Mit ihren Privatwohnungen, Geschäften, Büros, Parks, Promenaden und einem eigenen Vergnügungsviertel gleicht sie im Prinzip einer selbständigen, kompletten Stadt.
Aztechnology-Pyramide - Niederlassung des multinationalen Konzerns
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