Die Attentäterin
Schild führt ihn zu einem Treppenhaus. Er wartet, bis Hammer die Tür aufreißt und Dog Bite sein Okay gibt, bevor er hineinschlüpft.
Sie gehen die Treppe hinauf, Mickey und Hammer abwechselnd voran, wobei der eine dem anderen Deckung gibt, während Dog Bite nach hinten sichert. In der obersten Etage, sechs Stockwerke über dem Boden, stoßen sie am Ende der Treppe auf zwei Türen. Auf der einen steht ›Lager‹, auf der anderen ›Privat‹. Die Privat-Tür führt in einen schmalen, ungefähr zehn Meter langen Flur - eine Tatsache, die Dana bei ihrer Beschreibung des Lagerhauses nicht erwähnt hat.
Der Flur ist ein hervorragender Platz zum Sterben, das sieht Mickey auf einen Blick. Es gibt absolut keine Deckung. Natürlich gibt es keinen anderen Weg in die Wohnung.
Daß die Privat-Tür unverschlossen ist und sogar einen Spalt offensteht, sorgt nur für einen gewissen zusätzlichen Kitzel, soweit es Mickey betrifft. Wenn er irgendwelche Ängste hinsichtlich seiner Sterblichkeit hätte, wäre er kein Shadowrunner. Er würde seiner Mutter in den Arsch kriechen, Anzüge tragen und seine Zeit damit verschwenden, auf Computertastaturen herumzuhämmem. Er will lieber wie ein Selbstmörder leben und jung sterben, als ein Leben in den Stahl- und Glassärgen der Innenstadt fristen. Jetzt tastet er sich geduckt den Flur entlang, den Rücken an die Wand gepreßt, während seine AK auf die weit geöffnete Tür am Ende des Flurs gerichtet ist. Kein Grund, seinen Puls zu fühlen, um sich davon zu überzeugen, daß er noch am Leben ist. Er kann ihn pochen hören. Das Gefühl zaubert ein Grinsen auf seine Lippen.
Irgendwo hinter der Tür am Ende des Flurs dröhnt das für Sitcom-Serien typische Gelächter aus einem Trideo. Es klingt wie OTQs ›Ohne Fehl und Tadel‹, eine lustige Serie, die Mickey schon gesehen hat, und die von einem echten Verlierer handelt, der nie dahinterkommt, was eigentlich los ist. Der Lärm müßte jedes Geräusch übertönen, das Mickey im Flur verursacht. Sein Grinsen wird breiter. Das wird ein Kinderspiel.
Die Tür am Ende des Flurs führt in einen kleinen Raum ohne Fenster. Direkt an der Wand liegt eine Matratze auf dem Fußboden. Neben der Matratze steht ein Trideo, am Kopfende eine Lampe. Lampe und Trideo sind beide eingeschaltet. Mickey geht durch den Raum in einen Flur, der an einer winzigen Kochnische, einem Wandschrank und einem Badezimmer vorbeiführt und dann in einem Raum mit einer weiteren Matratze und zwei Lampen endet. Beide Lampen brennen. Das Licht einer grellen Neonreklame auf dem Dach eines der angrenzenden Gebäude fällt durch das Fenster am anderen Ende des Raumes.
Mickey sieht sich um und grinst. Die gute Nachricht ist, daß er bis hierher gekommen und ebenso wie Hammer und Dog Bite noch am Leben ist. Die schlechte Nachricht ist, daß Striper nicht dort ist, wo sie gedacht haben, nirgendwo in dieser Wohnung, und es sieht langsam so aus, als hätte die Schnalle gewußt, daß sie kommen, oder, wenn nicht, als wüßte sie zumindest, daß sie im Lagerhaus sind.
»Zurück«, sagt Hammer, der im Eingang steht. »Zurück ins Erdgeschoß.«
»Klar.«
Mickey wendet sich zur Tür, doch bevor er den ersten Schritt machen kann, hört er einen lauten, durchdringenden Schrei über sein Kopfset, der sofort wieder abbricht.
Einen Augenblick lang starren Hammer und er einander nur an. Dann rennen sie zur Wohnungstür zurück.
Hammer bleibt an der Schwelle stehen, die Smartgun auf das vordere Zimmer gerichtet. Das rote Dreieck eines Laserzielrohrs huscht über die Wände, obwohl sein Blick nach unten gerichtet ist. Dog Bite liegt mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden. Seine beschlagene Kunstlederjacke ist auf dem Rücken völlig zerfetzt. Von Dog Bites Rücken ist praktisch nichts mehr übrig. Vier tiefe Furchen ziehen sich vom Halsansatz bis unter die Schulterblätter, wo sie sich zu einer einzigen blutigen Wunde vereinigen, die bis zum Ende seines Rückgrats reicht. Aus der Wunde sickert noch Blut, das seine Taille hinunterläuft und sich auf dem Boden sammelt.
Die Wunde erinnert Hammer daran, was ein Fleischerhaken anrichten kann, wenn er als Waffe benutzt wird. Nur sieht das hier schlimmer aus. Viel schlimmer.
Mickey, der Hammer über die Schulter sieht, flucht. Einmal, wenigstens einmal, hat Mickey sein ewiges sarkastisches Grinsen verloren. »Was, zum Henker, ist passiert?«
Hammer schüttelt den Kopf.
»Du hast nichts gesehen?«
»Das reicht jetzt!« Die Frage
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