Die Attentäterin
von den Baumstämmen und der Erde und aus der Luft stechen ihr in die Nase. Sie hat die Stelle erreicht, wo die Sambars waren, als sie auf den Waldboden herabgestiegen ist.
Kurze Zeit später kommen sie in Sicht, eine kleine Gruppe, mehrere Männchen und Weibchen, die sich um eine kleine Lichtung geschart haben. Tikki bewegt sich jetzt sehr vorsichtig, tief geduckt, und benutzt jede verfügbare Deckung. Plötzlich erstarren die Sambars, die Köpfe in die Höhe gereckt. Sie erstarrt ebenfalls, halb hinter ein paar Felsen verborgen und nur ein paar Schritte vom Rand der Lichtung entfernt. Haben sie sie gesehen? Haben sie sie gewittert? Sie schleicht einen weiteren Schritt vor, dann noch einen, und plötzlich fängt irgendein Vogel hoch in den Bäumen laut an zu kreischen. Wie auf ein Signal wirbeln alle Sambars gleichzeitig herum und ergreifen die Flucht.
Doch da schießt Tikki bereits aus dem Gebüsch und jagt mit riesigen Sätzen über die Lichtung. Ihre Krallen wühlen sich tief in das weiche Erdreich.
Jetzt fangen eine Million Vögel an zu kreischen, während die Sambars in alle Richtungen davonsprengen. Das erste warnende Kreischen hat sie in Panik versetzt, so daß sie sich in ihre Richtung wandten. Bevor sie ihren Fehler erkennen, ist sie mitten unter ihnen, schlägt die Krallen in einen der Rücken, zerrt das Tier zu Boden, umschließt seine Kehle mit ihren mächtigen Kiefern.
Das ist ihr Todesgriff. Der Sambar ist ihr jetzt nicht mehr zu nehmen. Ihr Gewicht allein reicht aus, um das Tier am Boden festzunageln, wie verzweifelt es auch dagegen ankämpfen mag. Tikki wäre nicht überrascht, wenn es aus Angst verendete. Das ist schon vorgekommen. Hin und wieder scheint eine Beute zu erkennen, daß sie rettungslos verloren ist, sobald Tikki sie in ihrem Griff hat. Sie muß die Kiefer nur noch schließen und vielleicht einmal mit dem Kopf rucken, um der Beute das Genick zu brechen.
Genau das sollte jetzt auch passieren, aber statt dessen geschieht etwas sehr Seltsames. Der Sambar wehrt sich immer noch. Der verzweifelte Glanz in seinem linken Auge wird zu einem regenbogenfarbenen Leuchten, das sich über seinen ganzen Körper ausbreitet. Tikki bricht ihm das Genick, und immer noch wehrt sich der Sambar. Sie zerreißt seine Kehle, und er wehrt sich immer noch. Sie zerfleischt seinen Körper, bis das Blut auf den Boden spritzt und seine inneren Organe ein matschiger Brei um ihre Krallen sind, und er wehrt sich immer noch.
Sie zerfetzt seinen Körper, bis nur noch eine unkenntliche Masse übrig ist, und dann...
Erwacht Tikki abrupt. Sie liegt auf dem Boden ihres Unterschlupfs in Nordostphilly und hört die Worte ihrer Mutter zu der Frage, was sie tun soll, wenn alles schiefgeht: Schreib deine Verluste ab und verschwinde.
Laß alles stehen und liegen und schau niemals zurück. Kümmere dich nicht um Geld oder um den Schaden, den dein Ruf dadurch erleiden könnte. Überleben ist das Wichtigste. Es gibt immer noch einen anderen Metroplex mit unzähligen hungrigen Raubtieren, die gewillt sind, für deine Art Talent zu bezahlen, und die meisten interessieren sich nur dafür, was du liefern kannst.
Sie hebt den Kopf und sieht sich um. Spätnachmittägliches Sonnenlicht erfüllt das Zimmer. Die Matratze unter ihr ist völlig zerfetzt. An ihren Krallen kleben Schaumstoffstückchen und dünne Streifen Bettzeug.
Im Haus ist alles ruhig.
Sie scheint alleine zu sein.
Dann wird es Zeit, sich zu verwandeln. Sie zwingt sich in ihre menschliche Gestalt zurück. Bei Sonnenlicht fällt es ihr nicht ganz so schwer, aber so kurz nach Vollmond ist es nie leicht. Tikki hat das Gefühl, als verwandle sie sich von einem Wesen mit beinahe unüberwindlicher Kraft in ein kleines Würstchen von einem zweibeinigen Schwächling. Es ist dasselbe, als würde sie ihre Beute einem stärkeren Jäger überlassen. Sie weiß, daß sie muß, aber es erfüllt sie derart mit Ärger und Frustration, daß ihrer Kehle ein sehr menschlich klingendes Knurren entweicht. Nach der Verwandlung liegt sie auf der Matratze, starrt an die Decke und fragt sich, was sie jetzt tun wird. Was soll sie tun? So vieles scheint falsch zu sein. Unablässig nagt das Gefühl an ihr, daß ihre Situation irgendwie außer Kontrolle geraten ist.
Sie fühlt sich... verwirrt.
Aus irgendeinem Grund erinnert sich Tikki an den letzten Mann, den sie für Adama getötet hat - Tomita Haruso -, wie er sich noch bewegt hat, nachdem er eigentlich hätte tot sein müssen. Hätte sie
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