Die Aufsteigerin
werden. Sie wusste, dass es manche Dinge gab, die sie niemandem erzählen konnte, nicht einmal Desrae.
Sie hatte ein Geheimnis vor Tommy, und er hatte eins vor ihr. Wie konnte sie so in eine Ehe gehen? Wie konnte sie so dem Rest des Lebens entgegensehen, zumal sie doch genau wusste, dass Tommy, einmal mit ihr verheiratet, sie lieber tot sehen würde als zusammen mit einem anderen Mann?
Dieses Wissen machte ihr am meisten Angst.
VIERTES BUCH
»Frisch weht der Wind der Heimat zu; - mein irisch Kind, wo weilest du?«
- Tristan und Isolde , Richard Wagner, 1813-83
»Be all my sins remembered.« »… schließ in dein Gebet alle meine Sünden ein.«
- Hamlet William Shakespeare, 1564-1616
»I love thee with the breath, smiles, tears, of all my life! And if God choose I shall but love thee better after death.«
»Ich liebe dich mit allem Lächeln, aller Tränennot und allem Atem. Und wenn Gott es gibt, will ich dich besser lieben nach dem Tod.«
(R. M. Rilke) - Sonnets from the Portuguese, Elizabeth Barrett Browning, 1806-61
Kapitel fünfunddreißig
NEW YORK, 1987
»Zum Teufel, Deirdra, schaff die Kinder endlich aus meinem Arbeitszimmer raus in den Garten! Wohin ich sehe, überall diese Blagen. Mach jetzt, und zwar ein bisschen dalli!«
Deirdra, deren langes rotes Haar inzwischen nachgefärbt war, deren Augen aber immer noch aufregend grün funkelten, war vom ständigen Kinderkriegen aus der Form geraten. Als sie jetzt in Eamonns Arbeitszimmer trat, sagte sie spitz: »Es handelt sich um die Geburtstagsparty deiner einzigen Tochter. Natürlich laufen überall Kinder herum. Was hast du von mir erwartet - dass ich keine Freundinnen von ihr einlade und auch nicht deren Eltern? Sag’s mir, großer Boss, du weißt doch immer alles.«
»Komm mir nicht komisch, Deirdra. Ich verlange nur, dass du sie von meinem Arbeitszimmer fernhältst, sonst nichts.«
Sie schüttelte den Kopf, und ihre roten Wangen schwabbelten wie Wackelpudding. »Wir haben neun Kinder. Dieses Haus ist ständig voller Kinder, du Blödian. Was macht es also, wenn noch zwanzig dazukommen, hm? Und überhaupt, wenn Norah reinkommt, sagst du kein Wort. Nur an den Jungs hast du immer was auszusetzen.«
Eamonns Miene verfinsterte sich. »Weil sie allesamt kleine Mistkerle sind, deswegen. Wo ist denn Jack Junior? Er sollte inzwischen hier sein - ich hatte halb vier gesagt!«
Deirdra zuckte die Achseln. Ihr ältester Sohn, genannt nach seinem Großvater, hatte kein Interesse an ihr. Ebenso wenig wie alle anderen Kinder.
»Woher soll ich wissen, was er treibt? Hurt vermutlich rum wie sein Vater.«
Eamonn schloss die Augen und atmete tief durch. Seine Frau piesackte ihn unablässig, und er war genervt. Wenn er sie ansah, stellte er fest, dass nichts mehr übrig war von der Siebzehnjährigen, die er geheiratet hatte. Deirdra war vorzeitig gealtert.
Er kannte ihre Schwäche und nutzte sie schamlos aus. Seine Frau war sexsüchtig, zumindest was ihn betraf. Aber sie und ihr unförmiger fetter Körper blieben ihm völlig gleichgültig, und das wussten sie beide. Er gab ihr dennoch, was ihr zustand, wie sie es formulierte. Inzwischen fand er jedoch eine perverse Befriedigung darin, sie darum betteln zu lassen, und genoss es, sie abzuweisen.
Er liebte seine Kinder, und sie gab vor, sie ebenfalls zu lieben, aber in Wirklichkeit hatte sie an Kindern nur Interesse, solange sie unter drei waren. Deirdra liebte Babys, aber er würde den Teufel tun, ihr noch mehr Kinder zu machen. Neun sollten doch wohl reichen. Allein die College-Gebühren entsprachen dem Haushaltsetat eines Kleinstaats, aber Eamonn hatte das Geld, und darum ging es nicht. Entscheidend war, dass er sie als Mutter seiner Kinder nicht akzeptieren konnte.
Für seinen Geschmack kam Norah, das einzige Mädchen, bereits jetzt zu sehr nach ihrer Mutter. Eiferte ihr altklug nach, wie sie sich mit ihren pseudo-intellektuellen Freunden hochtrabend unterhielt und so tat, als verstünde sie jedes Wort. Deirdra war jedoch im Oberstübchen eher kärglich ausgestattet, ja, man konnte durchaus von einem Dachschaden sprechen, und das musste ihr endlich mal in aller Deutlichkeit gesagt werden.
Doch heute war dazu nicht der richtige Zeitpunkt.
Und schon wurden seine Gedanken abrupt unterbrochen, denn die Zwillinge kamen ins Zimmer gestürmt, aufgeregt und mit Tränen in den grünen Augen.
»Daddy, Daddy, Dennis ärgert uns die ganze Zeit. Er hat eine Flinte.«
Eamonn vergrub den Kopf in den
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