Die Aufsteigerin
Zuwendung bittet. Du hättest doch so tun können, als läge dir etwas an mir und uns, Eamonn. Wenigstens so tun hättest du können. Aber stattdessen bist du nur grausam gewesen. Die vielen Jahre nichts als grausam. Während ich nie aufgehört habe, mich zu bemühen und zu hoffen.«
Sie stand auf. Ihre würdevolle Haltung verblüffte ihn.
»Wenn du gehen willst, dann geh, ich würde es verstehen. Wenn du bleibst, schauspielern wir weiter wie immer. Ich hab mich weiß Gott seit fünfzehn Jahren an die Heuchelei gewöhnt. Aber ich sehe auch ein, dass sie jetzt nicht mehr als eine sinnlose Scharade wäre.«
Sie wandte sich zur Tür. Er war fassungslos.
Dass Deirdra so mit ihm zu sprechen wagte!
Sie zog die Tür leise hinter sich zu. Und plötzlich hatte er das Gefühl, etwas sehr Wertvolles verloren zu haben. Die Leere, die sie zurückgelassen hatte, würde er nie wieder füllen können. Das wusste er.
Weil er einen Menschen willkürlich zerstört hatte. Eine kleine Person, eine unbedeutende Person.
Doch diese Person war seine Frau.
Eamonn machte sich auf den Weg zu dem Apartment in Manhattan, das er stets anmietete, wenn Tommy aus England kam. Es lag in der Nähe der Fifth Avenue, sehr zentral und in einer Gegend, in der man abends zum Auto gehen konnte, ohne sich vor Straßendieben fürchten zu müssen. Als er in den Lift stieg, pfiff er vor sich hin, denn von Tommy erwartete er Neuigkeiten über Cathy.
Im Lauf der Jahre hatte er unglaublich oft an sie gedacht. Manchmal dachte er tagelang an sie und verfiel ihretwegen sogar in Depressionen. Zu wissen, dass Tommy sie haben konnte, wann immer er wollte, schmerzte ihn wie ein Messerstich zwischen die Rippen. Mit anhören zu müssen, wie der andere Mann unaufhörlich ihr Loblied sang, machte ihn rasend eifersüchtig. Er wollte besitzen, was Tommy gehörte.
Wie leicht hätte er es doch haben können!
Er spielte für Tommy den guten Kumpel und dazu den großzügigen Gastgeber, der seinen englischen Widerpart in New York ausführte und verschwenderisch bewirtete. Dabei hoffte er
stets, dass sein Kumpan seiner Frau daheim erzählte, wie weit Eamonn Docherty es gebracht hatte.
Es wusste, dass es kindisch war und dumm, aber er tat es schon seit Jahren.
Er hatte das Gefühl, über Tommy Zugang zu Cathy zu haben, obwohl er sie doch in all den Jahren nicht ein einziges Mal zu Gesicht bekommen hatte.
Tommy öffnete grinsend die Tür. Eamonn warf ihm einen bedeutungsvollen Blick zu, als er eingetreten war und die Dusche rauschen hörte.
»Du bist ja schnell. Noch keine Stunde aus dem Flieger und schon Gesellschaft, hm?«
Tommy wirkte leicht verlegen. »Carla. Die ruf ich immer an. Wir haben da eine Vereinbarung.«
Eamonn ging zum weißen Ledersofa und ließ sich in die Kissen sinken. »Und wie steht’s bei euch drüben?«, erkundigte er sich.
Tommy zuckte die Achseln. »Wie immer.«
»Frau und Kind?«
Tommy setzte sich ebenfalls und antwortete gut gelaunt: »Beiden geht es prima. Kitty wird von Tag zu Tag ihrer Mutter ähnlicher. Obwohl sie dunkel ist wie ich, hat sie die blauen Augen ihrer Mutter geerbt und auch deren Temperament. Klar, wenn Cathy von Carla wüsste, könnt ich mich gleich begraben lassen! Aber so ist es nun mal, Eamonn. Ich brauch eben gewisse Dinge - Dinge, die sie mir nicht gibt.«
»Wieso, was gibt dir denn die entzückende Cathy nicht?«, fragte er ehrlich neugierig.
»Erstens einmal gibt sie mir nicht sich selbst - Cathy. Das hat sie noch nie getan. Seit dem Tag unserer Hochzeit steht etwas zwischen uns, aber ich weiß nicht, was es ist …« Er schwieg einen Moment und fuhr mit schwerer Zunge fort: »Doch, ich weiß es. Sie hasst es, dass ich für die IRA arbeite, egal, wie wenig
ich persönlich mit der Gewalt zu tun habe. Deswegen will sie ja auch nie wieder etwas mit dir zu tun haben.« Er verstummte.
Eamonn hätte diese Offenheit niemals von Tommy erwartet, daher hegte er den Verdacht, dass sie eher mit Drogenkonsum zu tun hatte als mit einem ehrlichen Bekenntnis.
»Hast dir wohl ein paar Linien reingezogen, was?«
Tommy lachte überdreht. »Nur ‘n bisschen Koks, ‘nen Joint und ‘n paar Downer. Man muss die Feste feiern, wie sie fallen, oder?«
Eamonn nickte.
An ein Gespräch über ihre Arbeit war nicht zu denken, das stand fest. Carla, fast zwei Meter große und satte achtzig Kilo schwere inkarnierte Frauenpower aus Puerto Rico, kam aus der Dusche und lächelte ihm zu. Mit Freuden hätte sie beide Männer
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