Die Aufsteigerin
»Vergiss das für die Zukunft nicht. Du bist nicht in der Mafia, aber bei uns ist der ein toter Mann, der die Frau eines Toten anrührt.«
Eamonn lachte nur, geringschätzig und boshaft. »Nun, wir sind nicht die verdammte Mafia, und Petey ist kein verdammter Lucky Luciano! Wenn er aufwacht, richte ihm aus, er soll es sich
das nächste Mal gut überlegen, ob er nochmal so mit mir redet. Tut er’s nämlich nochmal, mach ich ihn alle.«
Erst draußen in seinem geparkten Wagen legte sich Eamonns Wut. Petey hatte den Nagel auf den Kopf getroffen, und eben das ärgerte ihn. Tommy hatte gewusst, dass er sich als einer der Hauptakteure in einem transatlantischen Netzwerk keine Blöße geben durfte. Für das, was sie taten, würden sie hinter Gitter wandern, bis sie alt und grau waren.
Tommy hatte sehr wohl gewusst, was auf dem Spiel stand. Aber er war anscheinend lebensmüde gewesen, denn niemand bei klarem Verstand legte sich mit den Iren an oder den amerikanischen Iren, ganz abgesehen von den Armeniern oder den Russen. Es war lachhaft, dass gerade Petey, der Ziegel von einem Kirchendach gestohlen und am nächsten Tag in derselben Kirche gebeichtet hätte, ihm vorhalten wollte, dass seine Beziehung zu Cathy Pasquale unmoralisch sei. Nicht einmal Jack, mit dessen Tochter er verheiratet war, hatte das getan. Aber Jack kannte auch die Schwächen seiner Tochter.
Eamonn dachte zurück an Caroline, die Tochter eines Mafia-Dons, die er in einem Augenblick rasenden Zorns gnadenlos totgeschlagen hatte.
Frauen waren sein Ruin.
Irgendwie weckte er in ihnen das Schlimmste, so wie sie in ihm das Schlimmste weckten.
Nur Cathy nicht. Cathy ganz und gar nicht. Sie war verlässlich, ein Grundpfeiler seines Lebens.
Er sah Petey zu seinem Wagen schwanken, stieg aus und ging zu ihm hinüber. Dem Mann, der ihm wie ein Bruder ans Herz gewachsen war, sagte er mit fester Stimme: »Es tut mir leid, Petey.«
»Du hast dich verändert, Eamonn«, erwiderte der angeschlagene Mann resigniert. »Ich hätte niemals gedacht, dass du die Hand gegen mich erheben könntest - gegen mich ! Jeden anderen würde ich in Stücke reißen.«
Eamonn holte tief Luft. »Seltsame Zeiten, hm?«
Petey nickte. »Sehr seltsam. Wir töten willkürlich links und rechts, was macht es da aus, wenn wir uns jetzt sogar untereinander umbringen?« Er zuckte die Achseln. »Vor Jahren wollte ich nicht mehr vom Leben als das hier. Ich dachte, ich brauche Geld und Prestige. Jetzt beneide ich jeden ganz normalen Familienvater, auch wenn er sich noch so sehr abplacken muss, denn im Gegensatz zu mir kann er ruhig schlafen. Er braucht nicht zu entscheiden, wer leben oder sterben soll. Er muss nicht mit anhören, wie ständig über Tod und Zerstörung gesprochen wird. Er muss nicht unablässig fürchten, dass jemand auf der Lauer liegt, um ihn abzuknallen. Plötzlich sehe ich mich so, wie andere mich sehen würden, wenn sie über mein Leben Bescheid wüssten … Ich steige aus, Eamonn, es geht nicht anders!«, sagte er mit Nachdruck. »Ich werde den Iren sagen, dass sie tun können, was sie wollen, ich jedenfalls gehe in den Ruhestand und konzentriere mich auf meine Clubs und Investitionen. Und ich könnte mir vorstellen, dass sie von dir erwarten, mich aus dem Verkehr zu ziehen. Mich würde echt interessieren, ob du das fertigbringst. Du weißt ja, wo ich bin - ich werde mich nicht verkriechen und auch nicht abhauen. Ich überlass es ganz deinem Gewissen.«
Mit diesen Worten stieg er in seinen Wagen und fuhr davon.
Eamonn ging zu seinem Wagen, stieg ebenfalls ein und setzte sich hinters Steuer. Aber er fuhr nicht los, denn er wusste nicht, wohin er fahren wollte. Die Ungeheuerlichkeit dessen, was Petey gesagt hatte, ließ selbst Cathy keinen Raum in seinen Gedanken.
Er sah das, was um ihn vor sich ging, mit anderen Augen, hörte den Lärm der Industrieanlagen, aber auch die einsame Stimme eines Mannes, der ein Lied sang.
Das Leben ging weiter.
Was auch immer dir persönlich zustößt, für alle anderen geht das Leben weiter.
Zwei Tage später wurde Tommy eingeäschert. Bei der Trauerfeier waren nur Cathy, Eamonn, Petey und Jack anwesend. Niemand ergriff das Wort, und die kurze Würdigung des Priesters war nichtssagend. Man merkte, dass er den Verstorbenen nicht gekannt hatte.
Als der Sarg mit ihrem Mann hinter einem schwarzen Vorhang verschwand, um dem Feuer übergeben zu werden, ergriff Eamonn Cathys Hand, und sie spürte einen Anflug von Mitleid mit dem Toten.
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