Die Aufsteigerin
wüsste ich nicht, was ich all die Jahre hätte machen sollen.«
Sie verstummte, hing ganz den Gedanken an ihre Tochter nach. Eamonn betrachtete ihr Profil. Sie kam ihm noch immer vor wie das kleine Mädchen von damals. Sie war der einzige Mensch, den er je uneingeschränkt geliebt hatte.
»Ich liebe dich, Cathy. Ich habe dich immer geliebt, und ich werde dich immer lieben.«
Unwirsch wandte sie sich ihm zu. »Das ist nicht fair, Eamonn, und das weißt du.« In ihren Augen schimmerten unvergossene Tränen. Und jetzt wurde ihm klar, dass auch sie ihn immer noch liebte.
Er zog sie an sich, presste seinen Mund auf ihre Lippen und öffnete sie mit seiner drängenden Zunge. Er schmeckte nach Zigaretten und Grappa und roch nach seinem Rasierwasser.
Sie spürte seine Berührung brennend heiß durch den Stoff ihres Morgenmantels, spürte, wie die Hitze sich über ihren ganzen Körper ausbreitete, in ihre Brüste fuhr und zwischen ihre Beine.
Sie riss ihm die Kleidung vom Körper, zerrte an seinem Hemd, bis die Knöpfe flogen, und zog ihn über sich, stieß ihn zwischen ihre Beine und ließ ihn kosten und küssen. Sie wölbte ihm den Oberkörper entgegen, damit er ihre Brüste packen konnte, als er in sie eindrang. Als sie spürte, dass ihr Orgasmus nahte, drückte sie sein Gesicht an ihren Körper. Noch nie zuvor hatte sie so empfunden, und niemals in ihrem ganzen Leben hatte sie einen Mann mehr begehrt. Gemeinsam erreichten sie einen nie gekannten Höhepunkt.
Nach Minuten schon war alles vorüber, aber keiner von beiden hatte Vergleichbares erlebt.
Sie sprachen nicht, denn es gab nichts zu sagen. Schließlich stand er auf, hob sie wie eine Puppe hoch und trug sie ins Schlafzimmer. Als sie nebeneinander auf dem Bett lagen, kam es ihnen vor, als seien sie heimgekehrt. Tommy war vergessen, Deirdra war vergessen, selbst ihre Kinder waren vergessen, so sehr genügten sie einander.
Es kam ihnen wie Flitterwochen vor, eine Zeit für sie beide ganz allein. Doch sie wussten, dass sie diese Tage genießen mussten, solange sie dauerten. Sie waren zusammen, sie gehörten wieder zusammen, und keiner von beiden wollte über die Gegenwart hinaus denken.
Harvey O’Connor, ein Ire dritter Generation, trug Mokassins und über seinem Anzug einen weißen Kittel. Um den Hals hing ihm ein Stethoskop, und in der Brusttasche steckten diverse medizinische Utensilien.
Er betrachtete sich im Spiegel des Waschraums und zwinkerte sich anerkennend zu. Er sah unauffällig genug aus, um in jeder Menschenmenge unterzutauchen. Als er den Waschraum verließ, lächelte er zwei jungen Krankenschwestern zu, die nur beiläufig reagierten.
In der Tasche seines weißen Kittels hatte er eine bereits vorbereitete Spritze, und als er Tommys Zimmer betrat, lächelte er
selbstsicher. Tommy stand noch immer unter Schock, starrte nur vor sich hin. Sein Frühstück stand unangetastet neben ihm.
Harvey zog die Spritze aus der Tasche. Sie enthielt eine Mischung aus Insulin und Cyanid. Niemanden kümmerte weiter, was er zu tun im Begriff war; der Totenschein war bereits vor Stunden ausgestellt worden. Es ging nur noch darum, die notwendigen Schritte zu vollziehen. Mit anderen Worten: die Spritze zu verabreichen und das Krankenhaus mit möglichst wenig Aufsehen zu verlassen.
Juanita, eine mexikanische Krankenschwester mittleren Alters, würde den Toten entdecken und die richtigen Leute alarmieren. Als Harvey die Nadel in Tommys Arm stieß, fiel ihm auf, wie kräftig und muskulös der Mann war, und er seufzte mitleidig. Es war eine Schande, aber es musste getan werden.
Diese Aktion brachte ihm zwanzig Riesen ein, und anders als sonst hatte er diesmal den Auftrag, mit bestimmten Leuten darüber zu sprechen.
Es sollte bekannt werden, dass ein Mord begangen worden war.
Trotz heftiger Gegenwehr gelang es Harvey, die Giftspritze im Arm seines Opfers zu versenken. Mit Genugtuung beobachtete er, dass sich Tommys Augen verschleierten und sein Leben schnell erlosch.
Der Mörder legte den Toten in Schlafhaltung aufs Bett, drückte ihm die Augen zu und zog ihm die Decke bis hinauf an den Hals.
Während er auf Juanita wartete, vertilgte er Tommys Frühstück und trank einen Schluck Krankenhauskaffee. Beides schmeckte scheußlich. Als die Frau pünktlich um Viertel nach neun kam, überließ er ihr das Feld und machte sich davon. Er hatte seinen Job bestens erledigt und durfte einen respektablen Stundenlohn einstreichen. Bis aufs Frühstück war nichts zu
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