Die Aufsteigerin
gestand sie sich das ein, denn so sehr ihre Mutter sie liebte, wusste Cathy sehr wohl, dass Madge eine Hure war, eine Hure durch und durch.
Auf dem Weg zur Schule sann sie darüber nach, was ihre Mutter ihr gesagt hatte, und zum ersten Mal seit ewig langer Zeit bestimmte nicht Eamonn ihre Gedanken.
»Hallo, mein Püppchen!« Eamonn Seniors Begrüßung war freudig laut, und Junie verzog das Gesicht, als sie Cathy in ihrer adretten kleinen Küche sitzen sah.
»Hallo, Junie. Eamonn.« Cathys Ton war höflich, und so kam die ältere Frau nicht umhin, das Mädchen freundlich anzulächeln.
»Du hast schon Tee gemacht? Gutes Mädchen. Dann trinken wir eine Tasse. Sei so lieb, ihn in den Salon rüberzubringen.«
»Ich nehm lieber ‘ne Flasche Bier. Und, Kind, wo ist unser Blödian?«, fragte sie der große Mann.
»Ist mal eben über die Straße zu Mr. Burrows. Hat gesagt, vielleicht hat er Aussicht auf einen Job in den Docks.«
Eamonn Senior machte große Augen. »Nicht schlecht!«
Cathy nickte bedeutungsvoll.
»Wie geht’s deiner Mutter?« Cathy wusste, dass er nur aus lauter Höflichkeit fragte. Sie strich das blonde Haar aus dem Gesicht und sah ihn an wie eine erwachsene Frau.
»Es geht ihr gut, danke. Hat einen neuen Job in einem Nepplokal und scheint recht zufrieden damit zu sein. Ist für sie ja auch ein Aufstieg.«
Sein Gesicht sprach Bände, als er die Neuigkeit hörte. »So, so, ein Nepplokal also. Ich kann nur hoffen, dass sie da glücklich wird.« Das klang sehr abfällig, aber Eamonn Juniors Rückkehr bewahrte Cathy davor, ihm zu antworten.
»Alles klar, Cath? Und du, ich hab gedacht, du wolltest heute arbeiten gehen«, sagte er spöttisch zu seinem Vater. »Mach noch ein paar Tage mehr blau, und du bist draußen, Alter.«
Sein Vater schnaubte verächtlich. »Die können mich gar nicht rausschmeißen, hab ich dir doch gesagt. Die können im Moment keine Iren rausschmeißen. Solltest du dir ein für alle Mal merken.«
Der junge Eamonn richtete sich zu voller Größe auf und sagte beherrscht: »Ich hab es dir schon oft genug gesagt, Dad - ich bin kein Scheißire, ich bin Engländer!« Bevor sein Vater etwas erwidern konnte, hatte er Cathy von ihrem Platz hochgezogen, und sie waren zur Hintertür hinaus auf dem Weg zur Straße.
»Manchmal hasse ich den Mistkerl.«
Cathy grinste. »Mit ihm und meiner Mutter ist es ein Wunder, dass wir beide irgendwie noch normal geblieben sind.«
Eamonn zog sie an sich und schob seine Hand unter ihren Rock. »Gönn uns einen Kuss, Cathy.«
Sie küsste ihn und roch dabei Teerseife und Park Drive Zigaretten.
»Mein Kumpel hat ‘n möbliertes Zimmer. Er sagt, wir können es heute Nacht haben.«
Eamonns Augen waren tiefseeblau, und wenn sie hineinsah, fürchtete sie zu ertrinken. Er lächelte hintergründig, und um sein Kinn zeichnete sich bereits ein Bartschatten ab. Er war dunkel wie die Zigeuner, von denen er angeblich abstammte.
Als er ihre Reaktion bemerkte, sagte er sanft: »Komm doch, Cathy. Was hast du zu verlieren? Ich will dich.«
Kopfschüttelnd seufzte sie. »Nein, Eamonn, es tut mir leid, aber ich bin noch nicht so weit. Ich hab’s dir doch gesagt - ich hab Angst.«
Sie warf ihm flehentliche Blicke zu. Eamonn starrte liebeshungrig in ihr hübsches herzförmiges Gesicht und spürte ihre unwiderstehliche Anziehungskraft. Er schloss die Augen und stieß zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor: »Verdammte
Scheiße, Cathy, du bist jetzt schon dreizehn! Du bist doch kein Kind mehr, und das bin ich auch nicht. Die Kindheit hat man uns doch eh geraubt! Du hast mein Wort, ich bin auch echt sanft mit dir. Du wirst deinen Spaß haben.«
Cathy spürte all ihre Vorbehalte schwinden. Sie gab den Widerstand auf und sagte: »Also gut, Eamonn.«
Er presste sie ganz fest an sich und spürte ihren kräftigen Herzschlag an seiner Brust. Sie war so winzig, aber doch auch so fraulich. Er liebte ihren Geruch, und er liebte es, wie sie sich anfühlte. Sie wurden unterbrochen vom Geräusch schwerer Schritte, die durch die Seitengasse hallten.
»Eamonn! Du musst kommen, Kumpel.«
Titchy O’Mara war ein kleiner, aber stämmiger Bursche, sechzehn Jahre alt. Er hatte die rundliche Figur seiner Mutter geerbt und die schroffen Züge seines Vaters. Außer Atem stützte er die Hände auf die Knie, um sich beruhigen.
Er lächelte Cathy kurz zu und stieß dann hervor: »Heute Abend gibt es eine große Schlacht. Bethnal Green gegen die Bermondsey Boys. Da ist heute ‘ne
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