Die Aufsteigerin
mordsmäßige Sauerei abgelaufen! Harry Clark wurde am Markt in Bermondsey zusammengeschlagen - er ist im Old London und wird genäht und alles. Diesmal haben sie’s zu weit getrieben. Um zehn heute Abend gehen wir übern Fluss, aber vorher bewaffnen wir uns. Kommst du mit, oder was?«
Eamonns Gesicht war erstarrt vor Zorn. »Harry Clark? Der ist doch noch ein Kind, höchstens fünfzehn. Diese elenden Scheißkerle! Hast du den anderen Bescheid gesagt?«
Titchy nickte. »Klar doch. Wir müssen alle zusammentrommeln. Ich sag dir, Kumpel, das wird ein Riesending. Die Ärsche müssen wir endgültig plattmachen.«
Eamonn nickte. Für Cathy hatte er keinen Gedanken mehr übrig. »Ich komme. Warte hier, bis ich mein Zeug geholt hab.«
Sie verdrehte die Augen, als er durch die hintere Pforte lief und im Haus verschwand. Titchy lächelte ihr zaghaft zu. Er
mochte Cathy Connor, denn sie hatten viel gemeinsam. Seine Mutter war nämlich auch eine Dockschwalbe.
Fünf Minuten später erschien Eamonn in Kampfmontur: schwarze Hosen, schwarzes Hemd und schwarze Lederjacke. Er hatte seine modische Haartolle mit Brylcreem in Form gebracht und in einer Werkzeugtasche eine Fahrradkette und einen Totschläger aus Eisen dabei.
Cathy gab ihm einen Kuss auf die Wange und sah ihn mit Titchy verschwinden. Sie seufzte erleichtert, dass das Unausweichliche dank der Taten der Bermondsey Boys für ein paar Tage aufgeschoben war.
Eamonn war bei weitem der größte unter seinen Kumpanen, und die sahen in ihm ihren Anführer. Sogar die älteren Jungs respektierten ihn, denn Eamonn hatte ihnen viel voraus. Im Gegensatz zu seinen Kumpels, die sich gerne aufspielten, war Eamonn tatsächlich ein ganz Harter. Er prügelte sich nicht einfach so, sondern legte es darauf an, seinen Gegner zum Krüppel zu schlagen. Im East End verbreitete sein Name Angst und Schrecken. Es war nicht nur seine Größe, so beeindruckend sie auch wirkte, sondern auch seine Gefühlskälte, mit der er die anderen beeindruckte.
Mit fünfzehn hatte er einen Nordlondoner namens Teddy Spinelli, einen Kredithai italienischer Abstammung, bewusstlos geprügelt. Zuvor hatte Teddy Respekt genossen - war sogar gefürchtet gewesen. Seit der Schläge, die ihm Eamonn verabreicht hatte, war er nirgends mehr aufgetaucht, und gehört hatte man auch nichts mehr von ihm. Sogar die älteren Ganoven zollten Eamonn Respekt, weil sie beeindruckt waren von diesem Kämpfer und sich selbst als junge Burschen in ihm wiedererkannten.
Das sprach sich herum und verschaffte ihm einen Nimbus, den Eamonn skrupellos zu seinem Vorteil ausnutzte.
Einen Nachteil hatte dies alles jedoch: Jede Gang, in der man davon träumte, ganz groß rauszukommen, wollte diejenige sein,
die Eamonn Docherty erledigte und dadurch von seinem Ruf zehrte. Eamonn wusste das, und darum war er auch erpicht darauf, diese Gang aus South London ein für alle Mal aus dem Weg zu räumen. Alles natürlich im Namen des armen Harry.
Wenn er das erfolgreich durchzog, stand seinem Einstieg in die echten Gangs von London nichts mehr im Weg. Er war gerade sechzehn Jahre alt.
Er verteilte die Waffen, die sie für solche Gelegenheiten versteckt hatten. Nachdem er sich seine Fahrradkette um den Hals gelegt und den Totschläger hinten in die Hose gesteckt hatte, zog er eine kleine Faustfeuerwaffe aus der Jackentasche und prüfte demonstrativ, ob sie geladen war.
Die anderen Burschen bestaunten ihn ehrfürchtig.
»Scheiße, wo hast du denn die Knarre her?«
Eamonn grinste. »Gehört meinem Alten. Sagen wir mal, ich hab sie ausgeliehen.«
Titchy bekam die Mund nicht wieder zu. »Aber du wirst sie doch bestimmt nicht benutzen?« Seine Stimme überschlug sich fast vor Angst. Eamonn hatte seinen Spaß daran.
Er ließ den Blick über die vierzehn Gangmitglieder schweifen, deren Anführer er seit ein paar Jahren war, und schüttelte den Kopf.
»Wenn einer von euch nicht zurechtkommt damit, kann er sich verpissen, und zwar auf der Stelle. Scheiße, heute Abend wird es ernst. Harry Clark liegt im Old London, zu Brei geschlagen. Heute Abend rächen wir ihn, und davon wird man in London ewig sprechen.«
Er lächelte, und es überlief sie eiskalt.
»South London kriegen die Quittung, und wir werden die Nummer eins. Keine Woche mehr, und wir nehmen es mit den ganz Großen auf. Wer braucht schon die Arbeit in den Docks, hä, wenn wir die dicke Kohle mit dem machen können, was wir am liebsten tun? Den Leuten die Köpfe einschlagen.«
Titchy
Weitere Kostenlose Bücher