Die Aufsteigerin
Mutter wehzutun.
Starr vor Schreck sah das Mädchen, wie die Haut aufklaffte, Zentimeter für Zentimeter. In Zeitlupe. Stumm schaute sie auf das Messer in ihrer Hand, und ihr wurde erst langsam bewusst, was sie getan hatte. Verblüfft sah Ron das Mädchen an, das vor ihm stand, blickte in die großen angstgeweiteten Augen und auf die zitternden Hände, bevor er schwer auf die Knie sank, eine Hand an den Hals gepresst.
Erst nach einer Ewigkeit sprudelte Blut aus der Wunde. Die Halsschlagader presste stoßweise dunkelrote Blutstrahlen hervor, die einen halben Meter weit durch die Luft schossen. Innerhalb von Sekunden waren seine Hände von Blut bedeckt. Mit jedem seiner Schläge pumpte das immer schwächer werdende Herz mehr Blut aus seinem Köper. Erst als Cathy bespritzt wurde und den warmen Geruch wahrnahm, schrie sie.
Der Schrei schien von jemand anderem zu kommen, und in dem kleinen Zimmer klang er ohrenbetäubend.
Madge sah ihren Liebhaber sterben, und irgendwann schrie sie dann auch.
Detective Inspector Richard Gates drängte sich rücksichtslos durch die kleine Gruppe von Schaulustigen im Flur und brüllte: »Gut jetzt, gut jetzt, habt ihr genug gesehen? Jetzt raus mit euch, und bitte ganz ruhig. Wir nehmen später von euch allen die Aussagen auf.«
Er scheuchte sie zur Tür hinaus, als Deputy Commissioner Fuller die Wohnung der Connors betrat. Zwei Bobbies wurden draußen vor der Tür postiert, um die Neugierigen im Zaum zu halten, und Gates ging in das kleine Wohnzimmer, nicht ohne vorher sein schütteres Haar glattzustreichen.
Das Blutbad, das sich dort anscheinend abgespielt hatte, raubte ihm die Fassung.
»Gerechter Gott! Was ist denn hier passiert?«, entfuhr es ihm unwillkürlich.
Die von Blut bespritzten Wände schimmerten purpurrot, und das zierliche Mädchen vor ihm sah aus wie von Blut durchtränkt. Der dunkelrote Fleck auf ihrem Nachthemd hatte etwas Obszönes. Sie hielt ein Messer in der Hand. Er zog ein Taschentuch hervor, ging zu ihr hinüber und nahm ihr behutsam das Messer ab.
Zwei blaue Augen, in denen sich Entsetzen spiegelte, sahen ihn flehentlich an. Entgegen besserer Einsicht hätte der Polizist die Verdächtige am liebsten in die Arme geschlossen und getröstet. Stattdessen legte er das Messer auf den Tisch und schaute sich nochmal um.
»Also schön, Madge. Was ist hier vorgefallen?«
»Bitte, Mom.« Die Stimme des Mädchens war dünn, aber dennoch war der flehentliche Ton für niemanden zu überhören. Gates seufzte. Er kannte Madge seit Jahren, noch aus seiner Zeit als
Streifenpolizist. Jetzt war er mit seinen neunundzwanzig Jahren der jüngste Detective Inspector im East End. Seine Sporen hatte er sich verdient, indem er solche wie Madge und ihre Freundinnen immer mal wieder eingebuchtet hatte. Sie beide verband eine Art feindseliger Freundschaft, die sich von Zeit zu Zeit für beide als zweckdienlich erwies. Allen Huren lag das Spitzeln im Blut, und allen ging es letztlich nur darum, den eigenen Hintern zu retten. Gates bedachte sie mit einem ingrimmigen Lächeln.
»Und der da?« Er stieß mit dem Fuß gegen Rons Leichnam. »Doch kein Freier, oder? Dein Zuhälter? Ich weiß doch, der Ronnie hat gearbeitet.«
DC Fuller grinste zynisch. »Wird er jetzt wohl kaum mehr können, stimmt’s?«
Sein geringschätziges Grinsen war kennzeichnend für die Laune der Polizisten an diesem Abend. Sie hatten es mal wieder mit einem typischen Nuttenproblem zu tun. Der Tote war ebenfalls nur Abschaum. Sie würden die Sache im Nu geklärt haben und schnell heimgehen können. Alles schon so gut wie unter Dach und Fach. Niemand Ehrbares dabei, und daher war kein Kopfzerbrechen nötig. Abgesehen vom vielen Blut unterschied sich dieser Mord nicht sonderlich von den meisten anderen im East End. Messer waren hier an der Tagesordnung, es sei denn, da hatte einer genug Knete für eine Schusswaffe.
Cathy stand da wie eine Statue, aber jeder im Raum konnte sehen, wie sehr ihre Beine zitterten.
»Warum setzt du dich nicht hin, Kleine?«
Gates’ Stimme klang unerwartet sanft. Er nahm Cathys Arm, führte sie ans Sofa und half ihr behutsam, sich zu setzen. Dann ging er ins Schlafzimmer und brachte einen schweren Mantel vom Bett, den er ihr umlegte.
»Sie steht unter Schock, und das überrascht mich nicht. Armes Ding.«
Cathy schluchzte haltlos. Die unerwartete Freundlichkeit hatte alle Dämme brechen lassen.
»Sie hat ihn erstochen.« Mit zitterndem Finger deutete Madge auf ihre
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