Die Aufsteigerin
Unterhosen die Tür. »Was denkst du dir, Frau? Mich mitten in der Nacht zu wecken?«
Betty lachte. »Es heißt doch, dass du vorangekommen sein sollst im Leben.«
Sie sah sich abschätzig um, und Eamonn zog eine Zigarette aus der Packung auf dem Nachttisch. Er sagte knapp: »Komm raus damit, was du willst, und dann verpiss dich wieder, Betty, ich bin müde.«
Gerade als er sich die Zigarette anstecken wollte, riss sie ihm die kleine Frau erbost aus dem Mund.
»Wie redest du mit mir, du kleiner Scheißer. Ich hab dir früher den Arsch abgewischt, und egal für wie abgebrüht du dich hältst oder wie groß du geworden bist, damit hab ich mir doch wohl ein bisschen Respekt verdient, oder? So, nun steig in die Klamotten und mach mir ‘ne Tasse Tee. Dann können wir besprechen, weswegen ich hergekommen bin.«
Eamonn musste beinahe schmunzeln. Er hatte die alte Betty
schon immer gern gemocht und erinnerte sich plötzlich daran, wie oft sie ihm als Kind ein paar Pennies zugesteckt hatte, damit er sich einen Schokoladenriegel kaufen konnte. Er sagte sich, dass er sich nichts vergab, wenn er ihr hier in diesen vier Wänden ein wenig Respekt entgegenbrachte, und daher kam er Bettys Verlangen nach, während sie seine Zigarette rauchte.
Fünf Minuten später, eine heiße Tasse vor sich, redete sie los.
»Es geht um die junge Cathy. Ich hab mich reichlich unbeliebt gemacht mit meiner Schnüffelei, was die vom Sozialamt wohl mit ihr angestellt haben.«
Zum ersten Mal, seit er die alte Frau ins Zimmer gelassen hatte, blitzte Interesse in Eamonns Augen auf. »Und? Komm schon, Betty - wo ist sie? Kann ich sie besuchen, ihr schreiben?«
Betty betrachtete sein hübsches Jungengesicht, das vor Eifer strahlte, und hätte fast Mitleid mit ihm empfunden, obwohl er doch gerade dabei war, sich einen furchterregenden Ruf als Danny Dixons rechte Hand zu erwerben.
»So einfach geht das leider nicht, mein Lieber. Du weißt doch, wie die Beamten sind - verschwiegen wie ein Grab sind die doch. Wir sind nicht mit Cathy verwandt, und daher erzählen sie uns nichts … Aber ich hab mich mit einem von den Bürohengsten angefreundet, hab ihm versprochen, ihm einen Gefallen zu tun, wenn er mir auch einen tut. Er hat mal in Cathys Akte gelinst und festgestellt, dass sie für langfristige Pflege vorgesehen ist. Er wollte mir nicht sagen, wo genau das sein wird, aber er hat gesagt, die Familie, die infrage kommt - die Hendersons - das wären herzensgute Leute. Was Besseres und alles, so wie ich’s verstanden hab … Cathy wird bestimmt gut behandelt von denen, Eamonn. Wir müssen uns keine Sorgen um sie machen, auch wenn sie uns noch so fehlt. Schätze, sie wird eines Tages hier wieder auftauchen und den piekfeinen Ton draufhaben. Stell dir bloß vor - Madge Connor ihre Tochter ist zu ‘ner kleinen Dame geworden!«
Eamonn machte ein finsteres Gesicht. »Bin ich gar nicht so
drauf aus, nein, vielen Dank. Die haben kein Recht, Cathy hier aus Bethnal Green wegzureißen. Mein Mädchen ist sie und sollte auch hier sein bei mir.«
Betty lächelte traurig. »Denk mal nach, Junge. Sie ist noch keine vierzehn. Da wird man sie wohl kaum einem berüchtigten Rabauken …« Sie hob beschwichtigend eine Hand und fügte hastig hinzu: »… und auch keiner alten Hure überlassen. Ich hab angeboten, sie aufzunehmen, weißt du. Nichts tät ich lieber, als dem kleinen Mädchen ein Heim geben. Aber davon wollten die nichts hören. Find dich damit ab, Eamonn - Cathy ist auf Dauer hier weg. Ich glaub nicht, dass du oder ich sie wiedersehen, bis sie nicht sechzehn ist und denen sagen kann, wohin sie sich die Pflegschaft schieben können.«
Sie sah, dass er die Fäuste ballte und wie sich seine blauen Augen vor Kummer verdüsterten, bevor er sich hastig abwandte.
Rücksichtsvoll erhob sich Betty. »Also dann, mein Lieber. Pass auf dich auf. Sieh zu, dass du heil bleibst, denn früher oder später wird Cathy zurück sein. Darauf kannst du zählen.«
Sie ging allein zur Tür. Eamonn hockte am Tisch, den Kopf in die Hände gestützt. Wenn sie nicht gewusst hätte, was für einen hartgesottenen Bengel sie vor sich hatte, hätte sie schwören können, dass er weinte.
Cathy war kaum noch bei Sinnen. Ihre angeschwollenen Handund Fußgelenke waren nach vierundzwanzig Stunden so wundgescheuert, dass die Schmerzen alle Wahrnehmung trübten. Ihr Herz schlug nur unregelmäßig, und das schweißnasse Haar klebte an ihrem Kopf. Miss Henley war entsetzt, und sogar Mr.
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