Die Aufsteigerin
ihr das Connor-Mädchen immer unsympathischer. Sie hatte Cathy schon vom ersten Augenblick an nicht gemocht, aber jetzt schlug die Antipathie allmählich in Hass um.
Das Mädchen war an allem selbst schuld, natürlich. Man muckte nicht auf gegen den, der einem zu essen gab und für die Kleidung sorgte. Das musste dieses Connor-Balg lernen, und zwar auf die harte Tour.
Dafür zu sorgen war Mary Barton wild entschlossen.
Sobald das momentane kleine Fiasko behoben war, würde das Mädchen in einer entlegenen Anstalt für Geisteskranke verschwinden und dort schon bald die Flügel gestutzt bekommen.
Betty Jones’ Gesicht war ungeschminkt, und das Haar hatte sie zu einem gänzlich ungewohnten Knoten aufgesteckt. Zuerst hatte sie versucht, ganz sie selbst zu bleiben, aber als sie damit anscheinend nicht ankam, war sie zu der Überzeugung gelangt, eine größere Chance zu haben, von den Leuten ernst genommen zu werden, wenn sie nicht so sehr wie eine Hure aussah. Da lief irgendwas mit Cathy. Die vom Sozialdienst waren nicht ehrlich zu ihr. Das roch sie einfach.
Sie beschloss, die Hilfe von Richard Gates in Anspruch zu nehmen, aber der lachte erstmal nur über ihr verändertes Aussehen.
»Irgendwie kam mir das Gesicht doch bekannt vor, aber ich konnte es nicht unterbringen. Was, um Himmels willen, ist denn mit dir los? Du siehst ja noch schlimmer aus als sonst. Du bist doch nicht zur Heilsarmee gegangen, oder?« Er warf den Kopf in den Nacken und brüllte vor Lachen.
Betty vergaß, warum sie gekommen war, und fauchte ihn an: »Leck mich doch, Gates. Verarschen kann ich mich selber.« Sie stand auf und wollte aus dem Zimmer gehen. Er stand ebenfalls auf und zerrte sie grob zurück.
»Komm schon, beruhige dich, Betty. Sei doch ehrlich - du wärest auch schockiert, wenn du mich plötzlich mit vollem Haupthaar und einem Colgate-Lächeln sehen würdest. Also gilt das auch für mich, oder? Was kann ich für dich tun?«
Im Gegensatz zu seinen Kollegen hörte Gates allen und jedem zu. Man wusste nie, von wem die nächste wichtige Information stammen könnte, und die Erfahrung hatte ihn gelehrt, alle seine Informanten ernst zu nehmen. Bettgeflüster hatte ihm wichtigere Informationen verschafft als alle Geldzuwendungen. »Auch Diebe tun sich dick bei den Dirnen«, sagte er gern, und so hörte er stets und überall hin.
Betty machte noch immer ein vergrätztes Gesicht. Großmütig bestellte er Tee für sie beide und lächelte die Frau an. Betty ließ sich erweichen.
»Es geht um die Kleine von Madge. Ich hatte läuten hören, dass sie zu Pflegeeltern kommen sollte, aber jetzt heißt es, dass man sie in irgend so ein Erziehungsheim in Deal gesteckt hat. Wo sie echt weggeschlossen ist. Aber sie hat doch nichts getan, und ich versteh nicht, warum sie dort ist. Man lässt mich auch nicht zu ihr, obwohl ich immer wieder darum gebeten habe.« Sie zuckte die Achseln. »Sie sind meine letzte Rettung.« Sie trank einen Schluck Tee und sah den großen Mann skeptisch an. Wenn Gates ihr eine Abfuhr erteilte, wusste sie nicht mehr weiter.
Er musterte sie eine Weile. »Mit deiner Kriegsbemalung hast du zwar auch nicht besonders stark ausgesehen, Betty, aber jetzt …«
Betty spürte die Tränen aufsteigen, und Gates merkte, dass er zu weit gegangen war.
»Na komm, war doch nur ein Scherz. Mach nicht so ein trauriges Gesicht. Also, die kleine Cathy Connor … was ist da gelaufen? Sie hat das Revier in Begleitung einer alten Schachtel mit Geiergesicht verlassen, die sie offenbar zu einer guten Pflegefamilie bringen sollte. Wie zum Teufel ist sie dann in ein geschlossenes Heim geraten?«
»Fragen Sie mich nicht, Mr. Gates. Das will ich ja gerade herausfinden. Ich ertrag den Gedanken nicht, dass sie in so einem Erziehungsheim ist - das wäre doch nach allem, was sie durchmachen musste, nicht richtig, oder?« Betty merkte, dass Gates interessiert zuhörte. Endlich würde ihr jemand helfen, und wenn auch nur mit einem Rat. Nachdem man sie in den letzten Wochen so oft an der Nase herumgeführt hatte, war das hier ein Lichtblick.
Richard Gates’ Miene gab keine Regung preis, während er mit wachsender Besorgnis von der Notlage der Kleinen hörte, die er bereits einmal aus einer schlimmen Bredouille befreit hatte.
Cathy war verblüfft, Denise um neun Uhr abends bei sich am Bett zu sehen.
»Wie bist du hier reingekommen?« Denise schüttelte den Kopf und zog sie an den Armen in die Höhe. »Zieh dich an, wir hauen hier
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