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Die Aufsteigerin

Titel: Die Aufsteigerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Cole
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dämliches Mannsbild!«
    Als er aus dem Zimmer wankte, sah sie ihre Freundin und Kollegin an und verdrehte die Augen.
    Miss Henley schüttelte bekümmert den Kopf. »Niemand war bei ihr. Ich hatte gedacht, er würde es nach ein paar Stunden genug sein lassen. Ich hatte ja keine Ahnung, dass er sie die ganze Nacht über hier liegen lassen würde.«
    Das war gelogen, und sie wussten es beide. Es gehörte alles zu dem Spiel, das sie spielten. Beide gaben gleichermaßen vor, alles für völlig normal zu halten, was sie taten. Keine von ihnen gestand freiheraus, dass sie die Kinder, die unter ihrer Obhut standen, geradezu abscheulich behandelten.
    Keine würde je einräumen, dass die Gelder, die sie überall abschöpften, von Heizung und Verpflegung bis zur Kleidung, jemals für etwas anderes verwendet wurden als zum Wohl der Schule und der Kinder. Es war ein grausames und zynisches Spiel, das sie trieben, und sie verstanden sich ausgezeichnet darauf.
    »So ein Mist, was sollen wir bloß sagen?« Miss Henleys Stimme klang ängstlich.
    Mrs. Barton zuckte die Achseln, als sei dies ein ganz normaler Tag in einem normalen Heim. »Wieso? Die Wahrheit natürlich. Eines der anderen Mädchen hat ihr das hier angetan, und wir haben sie so aufgefunden. Was sollen wir sonst sagen?«
    Aus dem Hintergrund erklang Browns Stimme: »Wir könnten doch auch sagen, dass unser Heimleiter, der sadistische alte Dreckskerl, sie gefesselt und beinahe umgebracht hat. Mitten in der Nacht ist er dann noch aufgetaucht, um sein Werk zu betrachten. Garantiert hat er das getan, meine Damen. Und ich
wette, er hat es auch genossen! Besonders, weil sie noch klar denken konnte und bewusst erlebte, was er mit ihr tat. Und ahnte, was er sonst noch alles mit ihr anstellen könnte … Oder wir könnten auch erklären, dass sie gar nicht hier sein sollte, weil sie nämlich nichts Ungesetzliches getan hat - sondern dass Sie, Mrs. Barton, nur einen Blick auf sie geworfen und sofort entschieden haben, dass sie eingesperrt werden muss. Ich meine, allein deswegen ist sie doch wirklich hier, oder?«
    Die beiden älteren Frauen sahen June Brown verblüfft an.
    »Haben Sie den Verstand verloren, Brown?« Mrs. Bartons Stimme bebte vor Entrüstung.
    Die gewichtige Frau, die vor ihnen stand, zuckte die Achseln. »Keine Sorge, ich werde meine Klappe halten, aber ich kann Sie beide nur warnen: Hier muss vieles anders werden. Ich und Jonesy haben es satt. Unser Job ist es, über die Mädchen zu wachen, und die Heimleitung hat sich da verdammt rauszuhalten. Ein schönes Pärchen sind Sie beide! Eine vertrocknete Bohnenstange und eine übergeschnappte Lesbe. Und was Hodges betrifft … der ist ein perverses Dreckschwein! Dass Sie alle nachts noch schlafen können, ist mir ein verdammtes Rätsel.«
    Auf Mrs. Henleys rot angelaufenem Gesicht glänzten Schweißperlen. »Sie müssen gerade den Mund aufmachen. Was ist denn mit …«
    June Brown unterbrach sie. »Ich und Jonesy sind schon seit Jahren zusammen, Lady. Und wir stellen keinen kleinen Mädchen nach. Was ist denn mit Ihnen und Denise … glauben Sie denn, wir wissen es nicht? Die erzählt alles haarklein, damit die anderen was zu lachen haben, und Sie glauben, niemand weiß es? Sind Sie tatsächlich so dumm? Die Mädchen sprechen über alles, und wenn sie entlassen werden, nehmen sie es mit, in ihren Herzen und in ihren Köpfen. Eines Tages wird alles herauskommen, und ich kann’s gar nicht abwarten, dass Ihnen allen die Scheiße um die Ohren fliegt.«
    Sie marschierte aus dem Zimmer, eine durch und durch anständige
Frau, die wegen ihrer sexuellen Neigung gezwungen war, ein Leben in Schande und Erniedrigung in einer Institution zu fristen, in der ihre sogenannte Andersartigkeit im Vergleich zu den Verfehlungen der verantwortlichen Leute als mehr oder weniger normal gelten konnte.
    Wie sie einmal zu ihrer langjährigen Freundin Gillian Jones bemerkt hatte: »Der Preis, den wir für unsere Freundschaft zahlen mussten, ist viel zu hoch. Wenn wir abartig sein sollen, was zum Teufel ist dann mit der perversen Bande?«
    Das Leben konnte sehr ungerecht sein, wie die beiden Misses aus eigener Erfahrung wussten.
    Wenn sie auspackten, dann stünde ihr Wort gegen die Aussagen all der anderen, und niemand würde ihnen Glauben schenken. Das stand so fest wie das Amen in der Kirche.
    Nach einer starken Tasse Kaffee, die sie mit einem Schuss Scotch veredelt hatte, ließ Miss Brown den Arzt ein und spielte ihre Rolle in dem Spiel, wie

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