Die Aufsteigerin
Was Eamonn betraf, so sah er eine gemeinsame Wohnung ausschließlich als vorübergehendes Arrangement. Aber er sparte sich die Mühe, Caroline darüber aufzuklären, und so war sie wunschlos glücklich.
Zur Überraschung vieler Leute, die zu ihr kamen, war Bettys kleine Wohnung stets peinlich sauber. Im Gegensatz zu den meisten ihrer Altersgenossinnen hatte sie sehr viel für Ordnung und Reinlichkeit übrig. Sie sagte sich, sie müsse bei ihrer täglichen Arbeit mit genug Mist und Dreck fertig werden und könne daher bei sich daheim gut darauf verzichten. Spielten die
meisten Huren in ihrer Freizeit verrückt, verfielen in Kaufrausch oder tranken sich die Welt schön, so war Betty glücklich damit, ihre kleine Wohnung zu scheuern, sich etwas Schönes zu kochen und Radio zu hören.
Aber die Wohnung war nicht nur sauber und ordentlich, sondern auf ihre Weise schmuck. Wenn die Möbel auch aus zweiter Hand stammten, waren sie doch in bestem Zustand. Die beiden großen Kleiderschränke, die sie auf dem Camden Market für einen Fünfer erstanden hatte, waren ihr ganzer Stolz. Sie waren aus Eibenholz, auf Hochglanz poliert und mit allem ausgestattet, vom großen Spiegel bis zu Schuhregalen. Ihre Kleidung kam in den Schränken sehr schön zu Geltung, und Betty öffnete häufig deren Türen, nur um sich an ihrer Habe zu erfreuen.
An diesem Morgen öffnete sie die Eingangstür für Richard Gates und schmunzelte über seinen Gesichtsausdruck, als er sich umsah.
»Du hast es ja sehr hübsch hier, Betty.«
Sie grinste und spreizte sich selbstzufrieden. »Vielen Dank auch. Hab noch nie was davon gehalten, die Arbeit mit nach Hause zu bringen, verstehen Sie? Eine Tasse Tee? Kaffee?«
Normalerweise hätte er bei einer Nutte daheim nichts angenommen, aber heute machte er eine Ausnahme von der Regel.
»Kaffee wäre schön, danke.«
Er folgte ihr in die Küche. Trotz ihrer alten Schlappen ging Betty leichten Schrittes und hielt sich dabei kerzengerade. Er fragte sich, wie sie wohl als junges Mädchen gewesen sein mochte. Sie war entzückt, einen so illustren Besucher zu empfangen, und plapperte ohne Unterlass.
»Ich hab das alles hier selbst eingerichtet, wissen Sie. Im Lauf der Jahre hab ich mich immer wieder umgesehen und ein paar hübsche Stücke gefunden. Aber mein Faible, wenn man so will, ist das Sammeln von Fingerhüten.« Sie musste über sich selbst lachen, aber Gates brachte es nicht übers Herz mitzulachen.
»Du bist eine nette Person, Betty, weißt du das? Hättest wahrscheinlich dem richtigen Mann eine gute Ehefrau abgegeben.«
Sie schüttelte spontan den Kopf. »Das denke ich nicht, Mr. Gates. Schon mit zwölf hab ich das Stromern angefangen. Das hört sich nicht so berauschend an, oder? Jedenfalls bin ich ganz froh mit meinem Leben, so wie es ist. Inzwischen arbeite ich, um zu leben, guter Mann, nicht umgekehrt. Ich mach die Tür hinter mir zu und hab mein kleines Heim und mein Radio und meine Gedanken. Das reicht mir.« Leicht verlegen wegen dieser Enthüllungen widmete sie sich ihrem Kaffee und erinnerte sich dann an den Grund seines Besuchs.
»Also, was ist los mit Cathy? Wann können wir losfahren, um sie abzuholen?«
Gates durchschritt ihr winziges Vorderzimmer. Sich gefährlich weit vorn auf dem Rand eines ihrer Queen-Anne-Stühle niederlassend, sagte er: »Cathy ist gestern Abend aus der Anstalt ausgerissen. Mich hat so ein hohes Tier vom Sozialdienst angerufen. Nach seiner Aussage war sie aggressiv und gewalttätig. Das glaub ich zwar nicht, aber egal. Die Sozialarbeiterin, die sie dort eingeliefert hat, die alte Schachtel Barton, nun ja, deren Mann ist Richter. Aber darauf pfeif ich, verdammt. Ob Richter oder Straßenfeger, für mich ist es alles dasselbe … Was soll ich sagen? Die ganze Bande steckt unter einer Decke, und dagegen können wir einen Scheiß ausrichten. Ich bin sogar vom Polizeipräsidenten persönlich angerufen worden, und der hat mich höflich gebeten, die Angelegenheit ruhen zu lassen. Da läuft eine ganz miese Verschwörung ab, und irgendwann werde ich herausfinden, was und wer dahintersteckt. Dann krieg ich sie alle an den Eiern. Aber das heb ich mir für später auf. Jetzt scheißen sie sich schon in die Hosen, das weiß ich genau, und das passt mir in den Kram … Offiziell heißt es, dass Cathy gestern Abend zusammen mit einer Denise oder so ausgerissen ist, einer Halbchinesin. Die beiden sind als vermisst gemeldet, aber damit hat sich’s auch. Ich bin sowohl offiziell
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