Die Aufsteigerin
Vorderzimmer, zog das Nachthemd aus und schlüpfte in ihre eigenen Kleider. In der Küche warf sie nur einen Blick auf Mama Gosa und schüttelte resigniert den Kopf.
»Lady, ich hoffe, Sie bekommen, was Sie verdient haben. Wirklich. Eines Tages werden Sie den Falschen beherbergen, und der wird es Ihnen heimzahlen. Wenn ich meinem Freund erzähle, was Sie getan haben, wird er arg wütend sein - und ich werde ihm haargenau sagen, wo Sie wohnen, verstehen Sie, und ihn auch zum Kaffeehaus von Ihrem Sohn mitnehmen. So oder so werde ich dafür sorgen, dass Sie die gerechte Strafe kriegen.«
Sie nahm ihr Bündel und ging langsam aus dem Zimmer. Sie rechnete damit, dass sie einen Schlag auf den Kopf oder ins Genick bekam, aber die Frau ließ sie wortlos gehen.
An der Eingangstür drehte Cathy sich um und sagte: »Das war ein ziemlich teures Bett und ein ziemlich teures Frühstück, und das Komische ist, ich hätte Ihnen das Geld sowieso gegeben, um bleiben zu dürfen. Gestohlen haben Sie es ganz umsonst. Für nichts und wieder nichts!«
Sie trat hinaus in die Kälte des Novembertages, zog den Mantel fester um sich und machte sich auf den Weg. Die Leute eilten an ihr vorüber, um ihren Alltagsgeschäften nachzugehen, erfreuten
sich ihres geordneten Lebens, das Sinn hatte und Zweck. Sie wanderte ziellos umher, bis sie an den North End Road Markt kam. Ihr war kalt, und es war nicht leicht, ihre Sachen in einer Papiertüte zu tragen. Sie stahl zwei Pullover und eine Handtasche.
Was auch immer passierte, sie musste ins East End gelangen. Und zwar gleich. Sie konnte es sich nicht mehr leisten, in einem Versteck unterzukriechen - das hatten die Gosas ihr vermasselt.
Schwere Regentropfen fielen, und als ihr wieder die Tränen kamen, wischte sie sie entschlossen weg. Weinen war nicht gut. Weder änderte es etwas, noch war damit etwas zu erreichen. Sie hatte alles Flennen hinter sich. Weinen war etwas für Dummköpfe und für Leute mit Zeit und Geld und einem angenehmen Leben. Sie besaß nichts von diesen Dingen, und deswegen musste sie ihre Tränen aufsparen, bis es so weit war. Und dann, das nahm sie sich jetzt vor, würde sie Tag und Nacht weinen, vor einem warmen Kaminfeuer, und sie würde nur ab und zu aufhören, um sich mit einem heißen Getränk zu verwöhnen und gelegentlich auch mal mit irgendeiner Köstlichkeit. Dieser Gedanke verleitete sie zu einem milden Lächeln.
Sie lernte jetzt allmählich, worum es wirklich im Leben ging, und obwohl es schmerzte, war es doch auch tröstlich. Denn sie hatte begriffen, dass es am allerfurchtbarsten war, sich dem Unbekannten zu stellen. In Benton hatte sie sich ihm gestellt und gestern Abend auf den Straßen von Soho. War ihm frontal entgegengetreten und war durchgekommen. Und da das Unbekannte jetzt nicht mehr so viel Schrecken barg, hinderte sie nichts daran, sich zurückzuwenden, zurückzukehren in die Welt, die sie kannte - auf die Straßen des East Ends, die ihre Heimat waren. Egal, ob die Polizei nach ihr suchte. Sie hatte dort viele Freunde und einen ganz besonderen Freund, der sie zweifellos wahnsinnig vermisste.
Kapitel fünfzehn
Eamonn Senior saß in Bettys adretter kleiner Wohnung und sah sich staunend um. Die Nachricht, er möge sie so schnell wie möglich aufsuchen, hatte ihn hergebracht. Zum ersten Mal in seinem Leben war er über die Türschwelle einer Frau getreten, die er verabscheute. Betty genoss seine Unsicherheit.
»Alle Achtung, Betty, du bist ja prächtig eingerichtet.« In seiner Stimme schwang widerwillige Bewunderung mit, und die zierliche Frau lächelte.
»Madge war immer gerne hier. Aber an anderen Besuchern war mir nie gelegen, wenn du weißt, was ich meine.« Er wusste es und grinste, um ihr zu bedeuten, dass er verstanden hatte.
»Und, was ist mit Cathy los?«, fragte er unvermittelt.
Betty zündete sich eine Zigarette an. Den Rauch ausblasend, sagte sie: »Sie hat sich davongemacht, und nicht mal Gates weiß, wo sie steckt oder warum sie davongelaufen ist. Wie ich’s mir zusammenreime, hat wohl so eine alte Ziege vom Sozialdienst sie in ein sicheres Heim gebracht. Und jetzt kommen die mit einer Menge Bockmist, dass das Kind gewalttätig ist und gefährlich, aber wie’s aussieht, haben die Scheiße gebaut, und unsere Cathy ist jetzt irgendwo da draußen. Uns bleibt nichts übrig, als zu warten, bis sie sich meldet … Der Sozialdienst will sie wieder in die Klauen kriegen, und wie ich gehört hab, werden sie die Kleine sofort einsperren und
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