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Die Augen der Medusa

Die Augen der Medusa

Titel: Die Augen der Medusa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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größtenteils noch aus Rapanottis Laden stammte, zum Sperrmüll zu fahren. Doch dann war genug anderes zu tun gewesen, kein geeigneter Wagen greifbar, Minh zu begierig, endlich mit seinen Computern loslegen zu können, und so war alles liegen geblieben. Auch die Holzkiste, in der Rapanotti früher wahrscheinlich Kartoffeln gelagert hatte. Sie hatte einen schweren, nach hinten aufklappbaren Deckel, der mit einem Riegel verschlossen war.
    Vannoni hatte mit jeder Faser seines Körpers auf eine Antwort gehofft, als er nach Minh gerufen hatte. Nicht das dünnste »ja« oder »hier« wäre ihm entgangen, doch dass irgendwo irgendetwas dumpf gegen Holz schlug, hatte er zuerst nicht bemerkt, und als er sich dessen endlich bewusst wurde, dauerte es immer noch ewige, unnötig vertane Sekunden, bis er realisierte, aus welchem Eck das Geräusch kam. Dann sah er die Kiste, groß genug, um darin einen Menschen zu verstecken. Er sah die von der Explosion dort hingeschleuderten Steine auf dem Deckel hüpfen. Er sah Staub tanzen. Er sah den Holzbrettern an, wie Minh verzweifelt dagegen trat. Und er rannte los.
    »Halt!«, schrie Russo, doch Vannoni hörte nicht. Im Nu hatte er den Riegel aufgeschoben, den Kistendeckel zurückgeschlagen. Minh lag auf dem Rücken, die Arme an den Körper gefesselt, den Mund geknebelt, die Augen weit aufgerissen. Erst langsam schien er zu erkennen, wer sich da über ihn beugte. Vannoni strich ihm übers Haar.
    »Ihr seid beide tot!«, schrie Russo von hinten.
    Vannoni löste das Tuch, das sich über Minhs Mund spannte. Der Junge wollte den Oberkörper aufrichten, doch Vannoni drückte ihn zurück. Dann drehte er sich um. Russo zielte mit seiner Pistole auf ihn.
    »Schieß doch, Bulle!«, sagte Vannoni leise. Es waren dieselbenWorte, die seine Genossen und er bei den Großdemonstrationen der 1970er Jahre gebrüllt hatten, wenn sie einer Phalanx von Uniformierten gegenüberstanden. Vannoni hatte mitgeschrien, hatte sich aufgepeitscht, um genug Mut zu finden, gegen die Polizeikette anzustürmen, doch der Sinn dieser drei Worte war damals im Adrenalin untergegangen. Jetzt war er ruhig. Seine Gedanken waren so klar, dass ihn fröstelte. Und alles, was in dem Satz mitschwang, konnte er in diesem Moment ohne Abstriche vertreten. Dass der Staatsmacht ein Mord jederzeit zuzutrauen war. Dass man sie manchmal provozieren musste, damit sie ihr wahres Gesicht offenbarte. Dass man keine Angst zeigen durfte, wenn es darum ging, etwas wirklich Wichtiges zu erreichen. Und dass man bereit sein musste, notfalls das eigene Leben dafür zu geben.
    »Schieß doch!«, sagte Vannoni noch einmal.
    »Hör auf, Russo!«, rief es von der Treppe herab. »Du willst doch nicht vor laufender Kamera …«
    Russo fuhr herum und zielte wieder auf den filmenden Kameramann. Zwei, drei Sekunden stand er so da. Dann löste sich seine linke Hand von der Pistole und tastete vorsichtig nach der Platzwunde an seiner Schläfe. Fast erstaunt betrachtete Russo das Blut an seinen Fingerkuppen. Seine rechte Hand sank herab und ließ, sobald der Arm schlaff neben dem Körper hing, die Pistole fallen. Und als habe ihn nur die Waffe in etwas verwandelt gehabt, was er nie hatte sein wollen, schien der Mann plötzlich ein anderer geworden zu sein. Kleiner, schmaler, um Jahre gealtert. Man glaubte, den Schweiß zu riechen, der aus seinen Poren drang, und konnte sich kaum vorstellen, von diesem erbärmlichen Wicht gerade noch mit dem Tod bedroht worden zu sein. Russo grinste verlegen und sagte: »Ich möchte gern eine Aussage machen.«
    Die Schrift, die im unteren Viertel über die Bildschirme lief, verkündete, dass sich die nachfolgenden Sendungenverzögerten. Die Reporterin stand jetzt neben dem Mann mit der Kopfverletzung und hielt ihm ein Mikrofon entgegen. Der Mann wandte sich ihr zu, als er zu reden begann.
    »Ich bin unter Druck gesetzt worden. Wenn es nur um mich gegangen wäre, hätte ich mich geweigert, bei dieser Aktion mitzumachen, aber ich habe Familie. Meine Frau, meine beiden Kinder. Wissen Sie, da wird nicht offen gedroht. Es genügt, wenn Ihnen jemand sagt, dass der Kindergarten, in den Ihre kleine Tochter geht, in keiner sehr sicheren Gegend liegt. Dann überlegen Sie es sich genau, ob Sie sich mit Leuten anlegen, die hundert Mal mächtiger sind als Sie selbst.«
    »Wer?« , fragte die Reporterin. »Von wem sprechen Sie, Herr Russo?«
    Der Mann schüttelte den Kopf. »Ich bin doch nicht verrückt, hier einen Namen zu nennen! Ich kann

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