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Die Augen der Medusa

Die Augen der Medusa

Titel: Die Augen der Medusa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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die einzige Straße, die den unbesetzten Teil Monteseccos noch mit der Außenwelt verband, näherten. Sie hielten vor dem Pfarrhaus, aus dessen Tür ein halbes Dutzend Uniformierte eilte, um Kisten und Koffer nach drinnen zu schleppen. Zwischen ihnen drückte sich ein Vice-Ispettore durch. Er kam geradewegs auf Catia zu.
    »Würden Sie bitte kommen, Frau Vannoni?«
    »Sie haben Kontakt?«, fragte Catia.
    »Vielleicht sollten wir nicht in aller Öffentlichkeit …« Der Vice-Ispettore brach ab.
    »Natürlich.« Catia stand auf. Der Polizist ließ sie vorangehen und hielt sich dicht hinter ihr, als müsste er sie vor den Blicken der anderen abschirmen. Als sie an der Pfarrhaustür anlangten, war der erste Kleinbus schon entladen. Der Fahrer rangierte auf der engen Piazzetta, um den Wagen zu wenden. Langsam wich das Häufchen der Dorfbewohner Richtung Bar zurück.
    Sie fragten sich, warum Catia zu einem vertraulichen Gespräch gebeten wurde. Hatte die Polizei etwa mit Minh Kontakt aufnehmen können? Doch wohl eher mit dem Geiselnehmer. Aber wozu wurde dann Catia gebraucht? Man mochte in Montesecco ja etwas rückständig sein, wusste jedoch durchaus, dass sich ein Terrorist und Doppelmörder nicht vom Flehen einer Mutter erweichen ließ. Oder etwa doch? Bestand zumindest die Chance, dass Catia etwas erreichen könnte?
    In der Bar war es trotz des Heizstrahlers nicht viel wärmer als draußen. Franco Marcantoni schlug vor, den alten Kachelofen wieder in Betrieb zu nehmen. Der brauche zwar Stunden, bis er den Raum aufheize, aber so wie die Dinge in Montesecco lägen, würden sie sich in nächster Zeit ja doch dauernd hier aufhalten. Statt über den Preis von Brennholz, den Dreck und die zusätzliche Arbeit zu lamentieren, ging Ivan Garzone hinter die Theke, griff nach einem Lappen und wischte gedankenverloren auf der Oberfläche herum. Die Brandspuren, die von Glut und Zigarettenkippen in den seligen Zeiten hinterlassen worden waren, als man in Gasträumen noch rauchen durfte, würde er so nicht beseitigen.
    »Kann mir einer erklären, warum Minh glaubte, dass er bald im Fernsehen wäre?«, fragte Ivan.
    »Geschwätz«, sagte Lidia Marcantoni. »Die jungen Leute haben doch alle nichts anderes im Kopf.«
    »Er sagte, er habe etwas Wichtiges vor.«
    »Zu erledigen, das waren Catias Worte. Er hatte etwas Wichtiges zu erledigen.«
    »Kurz vor dem Attentat auf Malavoglia!«
    Einen Moment herrschte Stille. Dann fragte Ivan Garzone so leise, als wolle er gar nicht verstanden werden: »Es kann doch nicht sein, dass Minh damit etwas zu tun hat, oder?«
    »Nein«, sagte Marisa Curzio.
    »Das ist völlig unmöglich«, sagte Matteo Vannoni bestimmt.
    »Wieso sollte er denn einen Oberstaatsanwalt …?«
    Sicher, sie kannten Minh als einen verschlossenen Einzelgänger. Das war er immer gewesen, und noch mehr, seit er als Kind so Schreckliches durchlebt hatte, wie man es seinem ärgsten Feind nicht wünschte. Jahrelang war er psychologisch betreut worden, doch aggressiv hatte er sich nie gezeigt. Ganz im Gegenteil, keiner Kreatur konnte er etwas zuleide tun. Als er bei Luigi, dem Schäfer, miterlebt hatte, wie ein Lamm geschlachtet wurde, kam er kreidebleich nach Hause, und da war er schon zwölf Jahre alt gewesen. Seit dem Tag aß er kein Fleisch mehr, keine Wurst, nicht einmal Fisch, obwohl ihm Lidia Marcantoni zugeredet hatte, dass Letzteres von der Kirche sogar an Fastentagen erlaubt werde. Und als Ivan Garzone in einem heißen Sommer vor seiner Bar einen dieser bläulich schimmernden Elektroroste aufgestellt hatte, um der Moskitoplage Herr zu werden, protestierte Minh gegen die »Exekutionsanlage«, wie er sie nannte. Zwei Abende brauchte er, bis er seinen Willen durchgesetzt hatte. Bei jedem Nachtfalter, der prasselnd verglühte, zählte er laut mit. Beim hundertzweiundzwanzigsten unschuldig getöteten Tier gab Ivan entnervt auf und baute tags darauf den Apparat wieder ab.
    Ja, etwas eigen war Minh schon, aber wer war das nicht? Und in letzter Zeit schien er sich sowieso gefangen zuhaben. Auch wenn er immer noch wenig sprach, wirkte er zufriedener, seit er mit Computer und Internet seine Welt gefunden hatte. Er stürzte sich in die Arbeit, lebte nur noch für sie. Vielleicht spielte er insgeheim irgendwelche Ballerspiele auf dem Computer, das mochte man nicht ausschließen, aber selbst wenn man für einen Moment das Unmögliche annehmen wollte, wie sollte der Junge denn an einen echten Granatwerfer kommen? Und ihn auch noch zu

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