bedienen wissen, wenn er doch keinen Nagel gerade in die Wand schlagen konnte. Mal abgesehen davon, dass auch sonst nichts zusammenpasste. Woher kamen die Geiseln? Woher sollte Minh wissen, dass Malavoglia hier auftauchte? Und wann? Und überhaupt, er war ein siebzehnjähriger Junge, den alle von klein auf kannten.
»Das ist lächerlich«, sagte Marisa Curzio.
»Kein Wort mehr davon!«, schnaufte Matteo Vannoni. »Wer Minh so etwas unterstellt, bekommt es mit mir zu tun.«
Niemand widersprach. Franco Marcantoni murmelte, dass man sich wundern müsse, warum der Wein nicht in den Gläsern gefriere, so kalt, wie es hier sei. Er ging zum Kachelofen, bückte sich umständlich und machte die Klappe auf. Der Aschenkasten war bis zum Rand voll. Franco zog ihn heraus.
»Holst du wenigstens Holz, Ivan?«, fragte er.
»Was mir die ganze Zeit im Kopf herumgeht«, sagte Ivan, »diese Spezialeinheit, die Minhs Büro stürmen wollte, die war schon mitten im Ort, die stand doch bereits in den Startlöchern, die hatte das Haus eingekreist.«
»Ja und?«
»Woher wussten die denn, dass der Terrorist nach Montesecco geflohen ist? Dass er sich in Minhs Büro versteckt hat? Wer hat ihnen gesagt, wo Minhs Büro überhaupt liegt? Und wer hat ihnen die Örtlichkeiten so genau beschrieben, dass sie einen solchen Nachteinsatz planen und einleiten konnten?«
Marisa Curzio schüttelte den Kopf. »Das konnten die nicht wissen. Nur einer von uns hätte sie gut genug informieren können, aber wir hatten ja selbst keine Ahnung. Wir saßen vor dem Fernseher und konnten kaum glauben, was sie da über das Attentat berichteten. Wer hätte denn im Traum daran gedacht, dass sich der Killer ausgerechnet in Minhs Büro verschanzen würde?«
Man hätte es nicht einmal vermutet, wenn man hingegangen wäre und geklopft hätte. Selbst wenn man gespürt hätte, dass jemand drin war, der nicht aufmachen wollte. Man hätte höchstens Verdacht geschöpft, wenn man gewusst hätte, dass Minh kurz vor dem Attentat aus dem Haus gegangen war, um etwas Wichtiges zu erledigen. Etwas, das ihn und Montesecco in die Fernsehnachrichten bringen würde.
»Catia?«, fragte Marisa Curzio. Es gab keine andere Erklärung. Catia Vannoni musste die Polizei informiert und die Spezialeinheit eingewiesen haben. Sie war überzeugt gewesen, dass sich der Terrorist in Minhs Büro aufhielt. Und sie hatte ihre Schlüsse aus dem gezogen, was ihr Sohn gesagt hatte.
»Seine eigene Mutter?«, fragte Franco Marcantoni. »Seine eigene Mutter hält Minh für einen Killer?«
»Sie selbst hat ihm eine Spezialeinheit auf den Hals gehetzt?«, fragte Marisa Curzio ungläubig.
»Hört auf!«, schrie Matteo Vannoni. Er presste die Handflächen auf seine Ohren.
Die Tür der Bar öffnete sich. Ein Schwall eisiger Luft wehte ein paar Schneeflocken mit herein. Sie taumelten auf den Steinfußboden hinab und vergingen. Am Türrahmen klopfte sich ein etwa fünfundvierzigjähriger Mann die Stiefel ab. Er trug einen dunklen Pelzmantel, eine Hornbrille und Lederhandschuhe, die er abstreifte, während er zur Theke ging. Der Mann hinter ihm war jünger. Unter seiner Pudelmütze sahen lange schwarze Locken hervor. Mit geübtem Griff schwang er die Fernsehkameravon seiner rechten Schulter und stellte sie auf dem Tisch vor dem Kicker ab. Daneben fand eine Umhängetasche mit der Aufschrift Rai TV Platz. Endlich schloss er die Tür der Bar. Der ältere Mann knöpfte seinen Mantel auf, fummelte ein Tuch hervor, nahm die Brille ab und putzte an den beschlagenen Gläsern herum. Dann fragte er: »Kann man hier vielleicht einen Caffè bekommen?«
Von: »Minh«
[email protected] An: »Polizia di Stato«
[email protected]/pesaro
Kommuniqué: Gestern um 11 Uhr 30 hat das revolutionäre Kommando »16. März« die erbärmliche Existenz Umberto Malavoglias beendet. Malavoglia war der Sohn eines Industriellen und ehemaligen DC-Funktionärs. Er begnügte sich nicht damit, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten und als Charaktermaske eines wild gewordenen Kapitalismus zu fungieren. Als Oberstaatsanwalt machte er sich bewusst zu einem der eifrigsten Handlanger des staatlichen Repressionsapparats gegen das um Freiheit und Gerechtigkeit kämpfende Proletariat. Das Volk hat seine elende Rolle im Prozess gegen die Genossen aus Pisa genauso wenig vergessen wie sein öffentliches Eintreten für die sogenannte Kronzeugenregelung, auf Grund derer Dutzende von Genossen ohne den Schatten eines Beweises