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Die Augen der Medusa

Die Augen der Medusa

Titel: Die Augen der Medusa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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eigenen Haustür vorzufahren. Etwa zehn Autos hatten in der Nacht dort gestanden. Wieso musste es gerade Donatos fast neuen Fiat erwischen?
    Er blickte nach rechts hinüber. Auf der Dachterrasse über Minhs Büro war ein Gewirr von Fußspuren zu erkennen. Der leichte morgendliche Schneefall hatte sie nicht zudecken können. Wegen des spitzen Winkels wirkten dieFenster fast undurchsichtig, aber die Treppenstufen, die von der Piazza emporführten, konnte man so gut einsehen wie den Eingang zum Büro. Die Tür war geschlossen. Es war noch die des ehemaligen Ladens. Minh hatte sie renovieren lassen. Donato fragte sich, ob der Junge mit Absicht auf seinen Wagen gezielt hatte.
    Es klingelte an der Haustür. Von unten rief Marisa: »Gehst du?«
    Donato stellte den Versicherungsordner in den Schrank zurück und stieg die Treppe hinab. Bevor er die Tür aufschloss, fragte er, wer draußen sei.
    »Anna-Maria Guglielmi von Canale 5.«
    Es war tatsächlich die Reporterin, die Donato vor wenigen Minuten im Fernsehen gesehen hatte. Hinter ihr standen der Kameramann und noch einer, der einen Haufen Taschen trug und jämmerlich zu frieren schien.
    »Können wir mal kurz hereinkommen?«, fragte die Reporterin. Sie war kleiner, als sie im Fernsehen gewirkt hatte.
    »Worum geht es?«, fragte Donato.
    »Von Ihrem Haus aus müsste man doch eigentlich eine gute Sicht auf den Ort der Geiselnahme haben.«
    »Nur vom Schlafzimmer.« Donato schob die Tür bis auf einen handspannenbreiten Spalt zu. Im Flur wurde es sowieso nie recht warm.
    »Das italienische Volk hat ein Recht darauf, zu wissen, was im Land geschieht«, sagte die Reporterin. »Deswegen gibt es Fernsehnachrichten. Aber Fernsehen braucht Bilder, und unsere Aufgabe ist es, diese Bilder zu liefern.«
    »Es ist unser Schlafzimmer!«, sagte Donato.
    »Ich könnte Ihnen hundert Euro zahlen.«
    »Wie bitte?«
    »Ich miete das Zimmer«, sagte die Reporterin, »solange das hier dauert. Für die damit verbundenen Unannehmlichkeiten bekommen Sie hundert Euro pro Tag.«
    Hundert Euro pro Tag konnte Donato gut gebrauchen. Gerade jetzt. Vielleicht waren sogar hundertfünfzig herauszuschlagen,wenn er geschickt verhandelte. Doch was Marisa dazu sagen würde, konnte er sich lebhaft vorstellen. Das eigene Schlafzimmer an ein Fernsehteam vermieten! Mit ihrem Doppelbett und ihrem Kleiderschrank darin. Und wo sollten Marisa und er schlafen? Nein, das ging nicht. Das ging unter keinen Umständen.
    »Dreihundert Euro pro Tag!«, sagte Donato.
    »Einverstanden«, sagte die Reporterin. Sie drückte die Haustür auf und schob sich an Donato vorbei.
    »Sie können hier nicht durch«, sagte der Mann mit der dicken Weste, über der eine Maschinenpistole hing. Costanza Marcantoni hörte keinen fremdländischen Akzent aus seinen Worten heraus. Kollaborateure! dachte sie. Ihre Hand krallte sich fester um den Knauf des Gehstocks. Wer mit dem Feind gemeinsame Sache machte, würde nach dem Krieg dafür bezahlen müssen. Costanza prägte sich die Gesichtszüge des Verräters genau ein. Eigentlich sah er eher harmlos aus, doch sie ließ sich nicht täuschen. Sie wusste schon, was sie von einem zu halten hatte, der ihr im Auftrag der Deutschen mit Waffengewalt den Weg versperrte.
    »Wollt ihr uns aushungern?«, fragte Costanza. Sie musste dringend Katzenfutter einkaufen. Und auch für sich selbst so dies und das. Sie kramte in ihren Taschen nach dem Einkaufszettel, konnte ihn aber genauso wenig finden wie die Geldbörse. Wahrscheinlich lag beides bei ihr zu Hause auf dem Küchentisch. Gott sei Dank konnte man anschreiben lassen im Laden von, na, wie hieß er gleich? Der unten an der Piazza jedenfalls. Costanza setzte den Stock auf und machte einen Schritt auf die rotweiße Absperrung zu. Der Kerl mit der Maschinenpistole stellte sich ihr in den Weg.
    »Unterstehen Sie sich, junger Mann!«, sagte sie.
    »Gehen Sie zurück! Es ist zu Ihrer eigenen Sicherheit«, sagte der Uniformierte.
    Costanza starrte auf seine Maschinenpistole. Seine Drohungen machten ihr keine Angst, aber im Moment konnte sie wohl nicht viel ausrichten. Sie drehte um und trippelte die Gasse entlang. Ihr Atem ging schwer, weiße Wölkchen bildeten sich in der eisigen Luft. Gerade begann es wieder zu schneien. Natürlich hatten die Deutschen Montesecco im tiefsten Winter besetzt! Sie waren die Kälte von zu Hause gewohnt, und hier konnten sie die Dorfbewohner leichter unter Kontrolle halten. Im Sommer hätte man sich in den Wäldern verstecken

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