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Die Augen der Medusa

Die Augen der Medusa

Titel: Die Augen der Medusa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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der Kamera hatte lange lockige Haare, die unter einer Pudelmütze hervorquollen. Sogar eine Frau war dabei. Sie grüßte, doch Costanza schaute demonstrativ zur Seite. Sie mochte keine Weiber, die im Film festhielten, wie ihre Männer fremde Länder besetzten. So etwas gehörte sich nicht. Costanza sah den Dreien nach, bis sie zwischen den Häusern verschwunden waren.
    Allmählich fror sie an den Füßen. Die Gummistiefel schützten zwar gegen die Nässe, aber warm hielten sie nicht. Da halfen auch die dicken Wollstrümpfe wenig. Costanza beschloss, den nächstbesten Passanten um Hilfe zu bitten. Der junge Mann, der sich ein paar Minuten später vom Ortseingang her näherte, trug Uniform. Costanza musterte ihn misstrauisch. Eine Militärpatrouille? Aber der Kerl war allein, hatte keine Maschinenpistole dabei und pfiff vor sich hin. Die Melodie kannte Costanza nicht. Wahrscheinlich ein deutsches Nazi-Lied. Costanza wollte trotzdem einen Versuch wagen.
    »Junger Mann«, sagte sie, »woher stammen Sie?«
    »Pesaro.« Der Uniformierte blieb stehen.
    Ein Kollaborateur also! Costanza fragte: »Schämen Sie sich eigentlich nicht?«
    »Wieso? Was haben Sie gegen Pesaro, Signora?«
    Stellte er sich nur so dumm, oder war er es wirklich? Na ja, einen Gartenschlauch würde er wohl vom Haken nehmen können. Costanza befahl ihm mitzukommen. Der junge Mann schleppte den Schlauch klaglos aus dem Schuppen. Erst als er ihn am Außenhahn anschließen sollte, fragte er, wozu Costanza denn um diese Jahreszeit im Garten Wasser brauche. Sie deutete vage in Richtung Kirche. Bei einem Nachbarn sei ein Rohr geplatzt, so dass er denHaupthahn schließen musste. Jetzt wollten sie dort die Badewanne füllen. Gerade in Kriegszeiten sei es doch lebenswichtig, über genügend Wasservorräte zu verfügen.
    Der junge Uniformierte sah Costanza an, als ob sie nicht ganz dicht im Kopf wäre, doch er legte den Schlauch gemäß ihren Anweisungen längs des Gartenzauns aus. Als sie an der Stelle angekommen waren, wo sich die Straße zur Piazzetta hinabzuwinden begann, sagte Costanza, dass es genug sei.
    »Dort hinein?«, fragte der junge Mann. Er zeigte auf das Haus an der gegenüberliegenden Straßenseite. Es sah unbewohnt aus. Costanza überlegte, wem es gehörte, doch sie kam gerade nicht darauf.
    »Danke«, sagte sie, »den Rest schaffen wir schon allein.«
    Der junge Mann hängte das Ende des Gartenschlauchs über die Latten des Zauns. »Wenn ich Ihnen sonst noch irgendwie behilflich sein kann …«
    Für einen verfluchten Verräter und Kollaborateur war er eigentlich recht nett. Vielleicht hatten ihn die Deutschen gezwungen, auf ihre Seite zu treten. Vielleicht hatten sie aus seiner Familie Geiseln genommen, die es büßen würden, wenn er nicht parierte. Den Deutschen traute Costanza alles zu. Doch um des Erfolgs der Resistenza willen durfte man sich ihnen nicht beugen, auch wenn es Opfer kostete. Costanza winkte den Soldaten näher zu sich heran und flüsterte ihm ins Ohr: »Falls Sie untertauchen wollen, junger Mann, auf meine Hilfe können Sie zählen!«
    »Untertauchen?«
    »Nur mal angenommen.« Costanza zwinkerte ihm zu. Dann sagte sie: »Gegen den äußeren Feind müssen wir zusammenhalten.«
    Der junge Mann wischte sich ein paar Schneeflocken aus dem Gesicht. Es sah aus, als ob er weinte. Wohl aus Sorge um seine Liebsten. Möglicherweise war seine alte Großmutter, die ihm früher vor dem Einschlafen immer Märchen erzählt hatte, von den Deutschen in Sippenhaft genommenworden. Costanza flüsterte: »Ihre Familie wäre stolz auf Sie, wenn Sie der Resistenza beiträten. Da bin ich sicher.«
    »Ja«, sagte der junge Mann, »natürlich. Wie war doch gleich Ihr Name, Signora?«
    »Keine Namen!« Costanza legte ihren Zeigefinger über die Lippen.
    »Klar, keine Namen!« Der Soldat nickte. Einen Moment lang dachte Costanza daran, ihn in ihren Plan einzuweihen, doch sie drückte dem jungen Mann nur die Hand und sagte, dass er ja wisse, wo er sie finden könne. Er solle gut auf sich aufpassen. Italiens Zukunft hänge von ihm und seinesgleichen ab.
    Dann trippelte Costanza zu ihrem Haus zurück. An der Tür drehte sie sich noch einmal um. Der junge Soldat hatte sich nicht von der Stelle wegbewegt, an der sie ihn zurückgelassen hatte. Sie winkte ihm zu, und auch er hob die Hand zum Gruß. Manchmal bedauerte Costanza fast, dass sie keine Kinder und Enkel hatte. Nicht alles an den jüngeren Generationen war schlecht. Costanza summte die Melodie von

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