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Die Augen der Medusa

Die Augen der Medusa

Titel: Die Augen der Medusa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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bleiben. Wie ein toter Fisch unter der Eisdecke eines zugefrorenen Sees.
    Dass zum ersten Mal seit Tagen kein Live-Bericht aus Montesecco in den Nachrichten von Rai Uno gezeigt wurde, konnte keinen der Dorfbewohner beruhigen. An spektakulären Bildern mangelte es eben, doch deswegen hatte sich das Dorf beileibe nicht aus den Medien verabschiedet. Im Gegenteil, in geradezu erschreckender Weise schien es die Nachrichten aus ganz Italien infiziert zu haben. So, als löse es sich in eine ölige Substanz auf und breite sich in dem Maße, in dem es selbst verschwand, als dünner, aber klebriger und giftiger Film über die gesamte Appenninhalbinsel aus.
    Der Aufmacher des TG 1 kam aus Bologna. Dort hatte ein Kommando des Partito Comunista Combattente das Eingangstor zur Villa des Procuratore Generale in die Luft gesprengt. Auf der rechten Seite hing das Gitter noch schief in den Angeln, links war der Pfeiler völlig zerstört und eine gut drei Meter breite Bresche in die Umfassungsmauer gerissen, so dass die Kamera den verschneiten Pool einfangen konnte, an dessen Rand lebensgroße Venus-und Neptunstatuen standen.
    Verletzte oder gar Tote gab es nicht zu beklagen, aber in der Erklärung des PCC, der die Urheberschaft für das Attentat reklamierte, kam deutlich zum Ausdruck, dass es sich nur um eine erste Warnung gehandelt habe. Es sei wohl deutlich geworden, dass kein Repräsentant des Systems unangreifbar sei. Wenn den Forderungen des Genossen aus Montesecco nicht entsprochen werde, eröffne derPCC eine zweite Front. Die Opfer, die dabei auf der Strecke blieben, habe sich der Staat wegen seiner Unnachgiebigkeit selbst zuzuschreiben.
    Im Kommentar zu dem Anschlag wurde gefragt, ob eine zweite bleierne Zeit bevorstehe und die Hydra des Terrorismus wieder ihre Häupter erhebe. Dass das Sprachbild schief war, erkannte sogar Franco Marcantoni, obwohl seine Schulzeit schon so lange her war, dass er sich kaum mehr erinnern konnte, ob er sechs oder sieben Jahre absolviert hatte. Die Hydra hatte ihre Köpfe ja nicht etwa zur Ruhe gelegt, sondern ihr waren neue aus den Stümpfen der abgeschlagenen gewachsen. Wie auch immer, eine Antwort auf die selbstgestellten Fragen hatte der Kommentator sowieso nicht parat.
    Themenwechsel, Schauplatz Udine. Auf einer Wahlveranstaltung hatte ein hochrangiger Funktionär der Lega Nord die Schlafmützigkeit der Regierung in Sachen innere Sicherheit angeprangert. Seiner Meinung nach müsse in Montesecco rücksichtslos durchgegriffen werden. Ein Staat könne nur als solcher respektiert werden, wenn er sein Gewaltmonopol entschieden durchsetze. Aufsehen hatte weniger die kaum verhüllte Forderung erregt, alles zu erschießen, was sich im Schlupfwinkel des Geiselnehmers bewegte, als die Anspielungen auf den vietnamesischen Vornamen des mutmaßlichen Täters. Ungeachtet der Tatsache, dass Minh in Italien geboren war, hatte der Lega-Nord-Mann eindringlich vor den Gefahren importierter Kriminalität gewarnt.
    Für den politischen Gegner war das ein gefundenes Fressen. Vom Linksaußen Bertinotti bis weit in die Mitte des Partito Democratico hinein drängte man sich vor die Mikrofone der Reporter, um den Rassismus der Lega zum x-ten Mal zu entlarven. Als ob die entsprechende Wählerklientel nicht exakt diesen Rassismus verwirklicht sehen wollte und der Partei gerade deshalb ihre Stimme gäbe! Wie es morgen weitergehen würde, wusste Matteo Vannonigenau. Ein anderer Sprecher der Lega würde den Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit entschieden zurückweisen, um so Besonnenheit und Verantwortungsbewusstsein zu demonstrieren. Ein solches Dementi konnte nicht viel schaden, da die Botschaft, um die es ging, längst in die Wohnzimmer der Republik gelangt war.
    Aus Rom kamen Bilder, die genauso falsch waren wie die Auseinandersetzung um die Rede in Udine, die aber wenigstens mehr boten. In eindeutiger Verkennung der Lage hatte sich Innenminister De Sanctis am Nachmittag aus dem Viminale begeben, um den davor ausharrenden Angehörigen der in Montesecco festgehaltenen Polizisten seine Solidarität auszusprechen. Ob er sich seiner Sache so sicher war, dass er selbst die Fernsehsender darüber informieren ließ, oder ob diese zufällig am Ort des Geschehens waren, wusste man in Montesecco nicht. Jedenfalls registrierten die Sgreccias, Milena Angiolini, Marisa Curzio und wer sonst noch daheim vor dem Fernseher saß, dass die PRAktion gründlich schiefging. Schon als sich das Gittertor öffnete und De Sanctis inmitten seines

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