Die Augen der Medusa
»Bandiera rossa« vor sich hin, während sie die Fressnäpfe der Katzen füllte. Dann stellte sie sich ans Küchenfenster und sah dem sanften Schneetreiben draußen zu.
Das Haus verließ sie erst wieder, als es schon dunkel war. Um zu sehen, ob die Luft rein war, ging sie bis zum Kirchturm vor. Als sie niemandem begegnete, kehrte sie wieder um. Nur noch vereinzelte Flocken schwebten herab. Selbst dem Schnee war es jetzt zu kalt. Im Gehen zog Costanza das Kopftuch fester. Sie erschrak, als sie eine Straßenlaterne passierte und ihr Schatten sie von hinten überholte. Aus dem kahlen Gezweig in den Gärten blickten auf einmal schreckliche Fratzen hervor. Die dürren Äste knackten, Schnee stäubte nach unten.
So schnell sie konnte, eilte Costanza zurück und blieb erst hinter ihrem Gartentor stehen. Sie schnaufte tief durch.Sie war eine alte Frau. Was sollten sie ihr schon antun? Und ohne ein wenig Risiko einzugehen, erreichte man gar nichts. Entschlossen drehte sie das Außenwasser auf. Im Hahn spotzte es, als wäre die Leitung schon halb eingefroren, doch dann spürte Costanza das Wasser durch den Schlauch laufen. Sie folgte ihm an den Zäunen entlang, bückte sich grummelnd und hob das Ende auf, das vom Wasserdruck zur Erde geschleudert worden war.
Vor Costanza fiel die Straße steil ab. In der Spitzkehre, die links zur Piazzetta hin führte, stand eine Straßenlaterne. Sie beleuchtete die am Hang gepflanzten Agaven, deren waagerechte Blätter unter der Schneelast abzuknicken schienen. Auch das Gras am Straßenrand war unter frischem Weiß begraben. Nur der Asphalt glänzte im Laternenlicht schwarz. Er sah gar nicht schmutzig aus, doch Costanza wusste es besser. Da der Schnee hier nicht liegen blieb, mussten die Deutschen gestreut haben. Salz oder irgendein gefährliches chemisches Zeug, das Costanzas Katzen die Pfoten verätzen würde, falls sich eine hierher verirrte.
Costanza drehte am Regler des Schlauchs, bis ein scharfer Strahl hervorschoss, richtete die Öffnung schräg nach unten und machte sich daran, den Asphalt abzuspritzen. Sie ging systematisch vor, begann ganz rechts am Haus von – na, wie hieß er doch gleich? – und arbeitete sich Quadratmeter für Quadratmeter über die Breite der Straße bis zum Abhang vor. Sie ließ sich Zeit, wollte sichergehen, dass die Bäche, die den Asphalt hinabrannen, jedes Körnchen des chemischen Teufelszeugs wegspülten. Eine halbe Stunde war sie wohl beschäftigt, inklusive der erzwungenen Unterbrechung, als sich die Tür des Pfarrhauses öffnete und ein paar Mitglieder des deutschen Kommandostabs auf die Piazzetta traten.
Mit dem Schlauch in der Hand hastete Costanza die Straße hinauf, bog nach rechts und drückte sich an eine der Pinien, die fast bis zur Spitze des Kirchturms emporragten.Das Wasser aus dem Schlauch lief den Stamm hinab, und Costanza hörte, wie unten Autotüren schlugen. Als der Wagen um die Kurve kam, glitt das Scheinwerferlicht an der Fassade des Hauses von – na! – Dingsda empor. Sie war in einem blassen Rosa gestrichen. Costanza erkannte jetzt einen Streifenwagen der Polizia di Stato, den die Deutschen offensichtlich beschlagnahmt hatten. Er kroch die Steigung ohne Probleme hoch. Als er zum Ortsausgang hin verschwunden war, kehrte Costanza zurück und säuberte den Rest des Asphalts bis zur Spitzkehre hinunter.
Sie war ein bisschen enttäuscht, dass die Deutschen so glatt durchgekommen waren, aber dann mahnte sie sich zur Geduld. Genau wie sie waren auch der Winter und die Kälte keine jungen Leute mehr. Sie brauchten eben ein wenig Zeit, um ihre Arbeit zu tun. Costanza fror. Ihre Füße in den Gummistiefeln waren reine Eisklumpen. Das war ein gutes Zeichen. Sie stapfte am Rand der Straße hoch und blickte auf den nassen Asphalt. Bald würde sich eine Eisfläche über ihn spannen. Dann sollten die Deutschen mal sehen, wie sie die Steigung hochkamen, um ihre Gefangenen abzutransportieren oder irgendwelche zwangsverpflichteten jungen Männer zu Treibjagden auf die Widerstandskämpfer zu karren!
Costanza wäre gern geblieben, um den Erfolg ihrer Aktion zu überprüfen, aber ihr war einfach zu kalt. Mit ihren klammen Fingern konnte sie nicht einmal den Schlauch aufräumen. Sie ließ ihn am Straßenrand liegen, ging nach Hause und legte im Kamin Holz nach. Als sie es endlich geschafft hatte, die Gummistiefel abzustreifen, streckte sie die Füße dem Feuer entgegen. Ah, das tat gut! Mephisto sprang auf ihren Schoß, rollte sich ein und
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