Die Augen der Medusa
schnurrte, als Costanza ihn am Hals kraulte.
Es hätte ein gemütlicher Abend werden können, wenn nicht etwa zwei Stunden später ein Autoalarm durchdringend zu heulen begonnen hätte. Costanza war es wieder warm genug, dass sie sich hinauswagen und nach demRechten sehen konnte. Sie ging dem Sirenenton nach. Als sie an der Steigung anlangte, wimmelte es dort schon von Soldaten und Zivilisten. Einige hatten Handscheinwerfer dabei, deren Lichtkegel durcheinanderzuckten. Die Straßenlaterne brannte nicht. Sie stand nicht einmal mehr an ihrem Platz, sondern lag knapp unterhalb der Spitzkehre quer über die Fahrbahn, als habe dort jemand damit begonnen, eine Barrikade zu bauen. Verstohlen blickte Costanza sich um. Ein paar Gesichter kamen ihr irgendwie bekannt vor, doch ob eines davon einem Genossen aus der Resistenza gehörte, hätte sie nicht zu sagen gewusst.
Wahrscheinlicher war sowieso, dass der Laternenmast durch den Unfallwagen gefällt worden war. Leider handelte es sich nicht um einen Gefangenentransporter, sondern nur um einen dunklen, nicht als Militärfahrzeug erkennbaren Mittelklassewagen. Der Fahrer hatte anscheinend die Kontrolle über das Steuer verloren und war nach der Kollision mit der Laterne über die Kurve hinausgeschossen. Der Wagen hatte die Bank, von der aus man bis Piticchio übers Land sehen konnte, aus der Verankerung gerissen, war seitwärts gegen einen Baum geprallt und hing jetzt schräg in dem Maschendrahtzaun vor dem Abgrund. Sicher wäre er hinabgestürzt, wenn er nicht glücklicherweise einen der Betonpfeiler, an denen der Draht befestigt war, erwischt hätte. Das Blech der Motorhaube hatte sich um den Pfeiler gefaltet. Er stand bedrohlich schief, aber er hielt. Das Auto sah schlimm aus. Costanza bezweifelte, dass außer der Alarmanlage noch irgendetwas daran funktionierte.
»Spiegelglatt!«, schrie neben Costanza eine jüngere Frau gegen den schrillen Ton an. Sie zeigte auf die Fahrbahn.
»Selbst schuld«, murmelte Costanza. Sie musste vorsichtig sein. Schließlich kannte sie die Frau nicht.
»Was hast du gesagt, Costanza?«
»Dass die immer so rasen müssen!«
Im Schein der Handlampen sah Costanza, wie ein Uniformierter an der Fahrertür des Wagens rüttelte. Dann riefer nach einem Schneidbrenner. Einer seiner Kollegen lief los, ein anderer beugte sich vorsichtig durch die zersplitterte Seitenscheibe ins Innere des Wagens. Einige Meter links Richtung Piazzetta hievten ein paar Soldaten den Laternenpfahl an den Straßenrand. Von unten kamen Sanitäter in orangefarbenen Warnwesten angetrabt. Sie trugen zwei Bahren mit sich. Costanza sah gespannt zu. Sie hoffte, dass es die Richtigen getroffen hatte, aber selbst wenn nicht, hatte sie sich nichts vorzuwerfen. So war nun mal der Krieg. Sie hatte ihn schließlich nicht begonnen! Die Deutschen waren einmarschiert, und sie wehrte sich nur, verteidigte ihr Land und ihr Dorf, so gut sie es eben vermochte.
»Nur nicht noch mehr Tote!«, sagte die Frau neben ihr. Costanza hielt sich die Ohren zu. Das an-und abschwellende Heulen des Alarms konnte einen ja wahnsinnig machen! Sie sah zu, wie die Tür des Unfallwagens mit einer Eisenstange aufgebrochen wurde. Zwei Männer, die keine Uniform trugen, wurden hervorgezogen und von den Sanitätern abtransportiert. Ob sie schwer verletzt waren, wusste Costanza nicht, doch sie lebten eindeutig noch. Na gut. Vielleicht war das besser so. In die Kampfhandlungen würden sie jedenfalls so schnell nicht mehr eingreifen können. Costanza wandte sich ab. Hier gab es nichts mehr zu tun. Als sie ein paar Schritte getan hatte, stellten sich ihr zwei Uniformierte in den Weg. Der eine hielt ihr das Ende eines Gartenschlauchs entgegen. Das Gesicht des jungen Soldaten kam Costanza bekannt vor, aber sein Name fiel ihr gerade nicht ein.
»Paolo?«, fragte sie aufs Geratewohl.
»Die da!«, sagte der junge Soldat zum anderen.
»Signora«, sagte der ältere, »wir müssen Sie leider bitten, mit uns zu kommen.«
Während er sprach, hörte der Alarmton schlagartig auf. Viel zu laut klangen die letzten Worte des Soldaten durch die Nacht. Die Leute schauten schon her, doch Costanzawagte nicht zu hoffen, dass jemand eingreifen und sie retten würde. Sie schlug die Hände gegeneinander. Es war bitterkalt. Sogar die Spucke schien im Mund zu gefrieren. Costanza war bloß eine alte Frau. Doch aus ihr würden die Deutschen und ihre Schergen keinen Ton herausbekommen. Selbst wenn sie Costanza folterten, würde sie stumm
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