Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Augen der Medusa

Die Augen der Medusa

Titel: Die Augen der Medusa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
Vom Netzwerk:
machen, indem er Dinge ausplaudere, die vielleicht schlimme Folgen haben könnten. Und außerdem hätten sie dem Questore versprochen …
    »Dann können wir Ihnen wohl nicht behilflich sein«, sagte der mit der Hakennase.
    »Tut uns leid«, sagte die Frau. Der Dritte zuckte die Achseln.
    Vannoni nickte, blieb noch ein paar Augenblicke unschlüssig stehen und wandte sich dann zum Gehen. Antonietta fand er nicht vor, als er bei sich zu Hause ankam. Er fragte sich, wohin sie wohl gegangen war, doch dann gestand er sich ein, dass ihn das im Moment überhaupt nicht interessierte. Er blickte auf die Uhr. Es dauerte genau acht Minuten, bis es klopfte. Eigentlich hatte Vannoni mit der Frau gerechnet, doch sie schickten den mit der Hakennase vor. Das war ein gutes Zeichen. Als Ältester der drei war er mutmaßlich die Karriereleiter am höchsten hinaufgeklettert. Sie hielten die Sache also für vielversprechend.
    Vannoni zierte sich, solange es ihm nötig erschien, und rückte dann mit seiner Geschichte heraus. An ihr war gar nicht viel gelogen. Minh war ja tatsächlich unschuldig, und der Geiselnehmer ein Unbekannter, der sich für ihn ausgab. Wider besseres Wissen behauptete Vannoni eigentlich nur, dass der Krisenstab dies längst wisse, aber bewusst verheimliche. Gerade daran zweifelte der Journalist am allerwenigsten. Offensichtlich hatte er genug Erfahrungen mit der mangelnden Wahrheitsliebe von Krisenstäben gemacht. Natürlich würde der Questore energisch dementieren, aber das störte Vannoni wenig. Die Saat des Zweifels musste gelegt werden, und das hätte nie funktioniert,wenn der Großvater des bisher einzig Verdächtigen ihn in eigenem Namen zu entlasten versucht hätte.
    Geschluckt hatte der Rai-Mann Vannonis Darstellung allerdings noch lange nicht. Aus seinen Nachfragen entwickelte sich schnell eine Art Verhör, vor dem Vannoni nicht zurückschreckte. Er hatte sich entschieden, er war entschlossen, er würde den längeren Atem haben und durchdrücken, was durchzudrücken war.
    Der mit der Hakennase fragte: »Wenn der Questore der gesamten Öffentlichkeit einen falschen Täter präsentiert, wieso hat er das gerade euch Dorfbewohnern anvertraut?«
    »Uns konnte er nicht vormachen, dass Minh auf seine Mutter schießt. Und dann ist da noch die Geschichte mit den Pizze. Alle fünf, die dem Geiselnehmer gebracht wurden, waren mit Schinken belegt. Minh ist aber Vegetarier.«
    »Deswegen habt ihr eine Delegation zum Krisenstab geschickt?«
    »Die wirkten keineswegs überrascht.«
    »Wer ist dann der Geiselnehmer?«
    Vannoni zuckte die Achseln. »Uns ist das jedenfalls nicht gesagt worden.«
    »Aber ihr hattet den Eindruck, dass der Krisenstab es weiß?«
    »Muss er wohl.«
    »Warum?«
    »Das mit der Pizza haben wir ja erst herausgefunden. Die Polizisten wussten aber vorher, dass Minh unschuldig ist. Woher, wenn sie den wahren Täter nicht schon identifiziert hatten?«
    »Und wo ist Ihr Enkel? Warum taucht er nicht selbst auf und stellt alles richtig?«
    »Weil er … nicht kann.« Zum ersten Mal zögerte Vannoni. Jetzt bloß keinen Rückzieher machen! Man musste nur an seine eigene Wahrheit glauben, dann fanden sich die Antworten auf offene Fragen von allein. Und je mehr maneine Geschichte aussponn, desto überzeugender erschien sie einem selbst.
    Erst kürzlich hatte Vannoni von einem Mann gelesen, der in den 1920er Jahren auf dem jüdischen Friedhof von Turin festgenommen wurde, als er eine Bronzevase stehlen wollte. Da er verwirrt und völlig erinnerungslos war, ja nicht einmal seinen Namen zu nennen wusste, wurde er in die psychiatrische Klinik von Collegno eingewiesen. Einige Zeitungen, darunter auch La Stampa , wurden auf den Fall aufmerksam und veröffentlichten Fotos des Unbekannten. Eine Professorenfrau glaubte, darauf ihren im Ersten Weltkrieg verschollenen Ehemann wiederzuerkennen. Mitsamt ihren beiden Kindern reiste Frau Canella nach Collegno, identifizierte den Patienten eindeutig als ihren Giulio und holte ihn nach Hause in ihr gutbürgerliches Viertel von Verona. Damit hätte alles sein gutes Ende haben können, wenn nicht kurz darauf Familienangehörige und die ehemalige Geliebte in dem Fremden ebenso sicher einen gewissen Mario Bruneri erkannt hätten. Dieser gehörte pikanterweise der Halbwelt an und war seit Jahren untergetaucht. Die anlässlich einer früheren Verhaftung abgenommenen Fingerabdrücke Bruneris schienen mit denen des Erinnerungslosen identisch zu sein, doch Frau Canella focht dies

Weitere Kostenlose Bücher