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Die Augen der Medusa

Die Augen der Medusa

Titel: Die Augen der Medusa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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hinein-oder hinaushastete. Aus dem Kirchenportal strömten verschlafeneStaatspolizisten und stellten sich wie zum Appell auf. Ihre Vorgesetzten flüsterten halblaut miteinander. Endlich wandte sich einer zum Fußvolk und teilte die Männer in Gruppen ein. Welche Aufgaben diese durchführen sollten, bekamen Ivan Garzone und Franco Marcantoni nicht mehr mit. Wie um die verfluchten Worte ungeschehen zu machen, zogen sie sich in die Bar zurück, als sie den Chef der Uniformierten sagen hörten: »Wir müssen davon ausgehen, dass Minh Vannoni eine der Geiseln erschossen hat.«
    Als der Schuss fiel, saß Matteo Vannoni zu Hause herum und trank Rotwein. Eine zweite Flasche und der Whisky, den ihm vor vielen Jahren mal jemand geschenkt hatte, standen als Reserve bereit. Vannoni wollte sich besaufen. Nicht aus Wut, nicht aus Resignation, sondern aus der Erkenntnis heraus, dass er der Welt nur angemessen gegenübertreten könne, wenn er sich genauso erbärmlich fühlte, wie sie war. Damit an Letzterem keine Zweifel aufkämen, hatte er den Fernseher angeschaltet und zappte durch Werbeblöcke, TV-Verkaufssendungen und Talkshows, in denen ein Talkmaster andere Talkmaster über die Gäste herziehen ließ, die in deren Talkshows aufgetreten waren. All diesen Sendungen war gemein, dass sie wortreich, schrill und fast schon verzweifelt ihre eigene Wichtigkeit vortäuschten.
    »Ich mache mir Sorgen um dich«, sagte Antonietta.
    »Um mich?« Vannoni lachte.
    »Ja.« Antonietta saß im Sessel und strickte.
    »Schau dir das an!« Vannoni deutete auf den Fernseher. »Wie ist es möglich, dass sich ganz Italien von diesem Dreck verblöden lässt? Müssten da nicht alle wie ein Mann aufstehen, die Fernsehstudios stürmen und dem Erdboden gleichmachen?«
    »Es wird gut ausgehen«, sagte Antonietta. »Ich spüre es.«
    »Natürlich«, höhnte Vannoni. Alles lief fabelhaft. Die Welt war schön. Mitsamt ihren Fernsehprogrammen, Geiselnahmenund Mordanschlägen. Mitsamt den Töchtern, die im künstlichen Koma lagen.
    Vannoni sah zu, wie Antonietta die Stricknadeln tanzen ließ. Es schien ein Schal zu werden. Ein Knäuel dicker grauer Wolle lag wie eine zusammengerollte Katze auf Antoniettas Schoß.
    »Hör auf damit!«, sagte Vannoni, ohne dass er wusste, was ihn störte. Vielleicht täte es ihm selbst gut, seinen Händen ein wenig Beschäftigung zu geben.
    »Er ist für Minh. Zum Geburtstag«, sagte Antonietta.
    »Minh hat im November Geburtstag«, sagte Vannoni. »Jetzt ist Januar.«
    »Und?« Antonietta strickte weiter.
    Vannoni starrte auf die Flaschen vor sich. Der schottische Whisky war noch nicht angebrochen. So etwas hatte sich in seiner Jugend weder er noch einer seiner Genossen leisten können. Schon die Flasche sah teuer aus. Sie war rechteckig und aus extra dickem Glas. Wenn er allein gewesen wäre, hätte er sie jetzt über die Tischkante geschoben, nur um zu sehen, ob sie zerbrechen würde, wenn sie auf das Cotto schlug. Wahrscheinlich nicht. Im Gegensatz zu den Weinflaschen. Auf die konnte man sich verlassen. Vannoni schenkte sich ein Glas Roten ein und kippte die Hälfte davon hinunter. Die Flasche war noch zu einem guten Drittel gefüllt.
    Als an die Tür gehämmert wurde, schüttelte Vannoni nur stumm den Kopf. Er wollte niemanden sehen. Antonietta stand trotzdem auf und öffnete. Es waren zwei. Sie blieben am Eingang stehen, als rechneten sie damit, Hals über Kopf fliehen zu müssen.
    »Ihr Enkel hat soeben eine Geisel erschossen«, sagte der eine.
    »Alles, was eine Uniform trägt, schwärmt gerade aus und rückt gegen das Haus vor«, sagte der Andere.
    »Mit einem Sturmangriff muss jederzeit gerechnet werden«, sagte der Erste.
    Etwas in der Art hatte Vannoni erwartet. Nichts würde gut werden, wenn man nur Däumchen drehte. Oder Schals strickte. Vannoni warf Antonietta einen verächtlichen Blick zu und sah dann zu den Milchgesichtern der beiden Journalisten auf. Er tippte auf Anfänger von irgendeinem Provinzblatt. Solche, die sich ganz hinten anstellen mussten, wenn die Medienmeute hinter der ausrückenden Polizei her hechelte. Deshalb waren sie bei Vannoni aufgetaucht. Sie wollten lieber die Ersten auf einem Nebenkriegsschauplatz sein als die Letzten auf dem eigentlichen Schlachtfeld.
    »Wir möchten Sie bitten, die jüngsten Entwicklungen zu kommentieren.« Die beiden zückten ihre Notizblöcke. Vannoni dachte, dass ein Schlachtfeld so genannt wurde, weil dort jemand geschlachtet werden sollte.
    »Haben Sie mit einem

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