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Die Augen der Medusa

Die Augen der Medusa

Titel: Die Augen der Medusa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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zurückgreifen würden, können Sie umso sicherer sein, dass wir dessen Leben keinesfallsdurch einen gewaltsamen Befreiungsversuch in Gefahr bringen würden.
    Von: »Minh« [email protected]
    An: »Krisenstab« [email protected]/pesaro
    Sie wollen mich unter allen Umständen herauslocken? Mir geht es hier aber ausgezeichnet. Ich werde mich nicht von der Stelle bewegen, bis die Genossen frei und in Sicherheit sind. Oder bis die letzte Geisel tot ist. Und auch dann werden Sie mich mit Gewalt holen müssen. Ich werde einige von euch mitnehmen, das verspreche ich euch.
    Von: »Krisenstab« [email protected]/pesaro
    An: »Minh« [email protected]
    Das Angebot des Kabinetts gilt nur, solange keine der Geiseln zu Schaden gekommen ist. Wir machen Sie darauf aufmerksam, dass die Ermordung eines Unschuldigen Fakten schaffen würde, die es politisch undenkbar erscheinen ließen, Ihnen noch irgendwelche Zugeständnisse einzuräumen.
    Von: »Minh« [email protected]
    An: »Krisenstab« [email protected]/pesaro
    Sie reizen Ihre Zeit wohl bis zum Ende aus? Sie haben noch sieben Minuten!
    Von: »Krisenstab« [email protected]/pesaro
    An: »Minh« [email protected]
    Cinzia, die Ehefrau von Ispettore Russo, stammt aus einer Arbeiterfamilie in Catania. Ihr Vater ist Dreher, Mitglied der CGIL und von Rifondazione Comunista. Wenn jemand die Massen verkörpert, für die Sie zu sprechen meinen, dann ihre Familie und sie. Frau Russo hat uns gebeten, Ihnen folgende Nachricht zukommen zu lassen:
    Man hat mir gesagt, Sie seien ein junger Mensch, der seinen Vater nicht kennt. Ich verstehe, dass das nicht leichtist. Noch schwerer wäre es aber für zwei kleine Mädchen, die ihren Vater kennen und lieben, ihn von einem Tag auf den anderen zu verlieren. Nur, weil er seine Arbeit machte, um die Familie zu ernähren. Nur, weil er im falschen Moment am falschen Platz war. Ich würde mich gern vor Ihnen auf den Boden werfen und Sie anflehen, Roberto zu verschonen, doch das geht ja nicht. Sie sollten aber wissen, dass Sie nicht nur ein Leben zerstören, wenn Sie ihn umbringen, sondern auch das seiner Töchter, meines und das unserer beiden Familien. Ich bitte Sie bei allem, was Ihnen heilig ist, um Gnade.
    Von: »Minh« [email protected]
    An: »Krisenstab« [email protected]/pesaro
    Noch zwei Minuten!
    Von: »Krisenstab« [email protected]/pesaro
    An: »Minh« [email protected]
    In Ihrem eigenen Interesse: Schießen Sie nicht!
    Mamadou Thiam hatte schon Schüsse gehört. Er war sogar schon vor welchen weggelaufen, als sein Flüchtlingstreck damals auf eine lybische Militärpatrouille gestoßen war. Die Soldaten hatten kein Interesse gezeigt, ihn und die anderen einzufangen. Das hätte nur Ärger und Arbeit bedeutet. Warum sie trotzdem über ihre Köpfe hinweggeschossen hatten, wusste Mamadou nicht. Vielleicht hatte es ihnen einfach Spaß gemacht, eine Gruppe schwarzer junger Illegaler zu Tode zu erschrecken und in der Wüste zu versprengen.
    Dennoch hatte es Mamadou letztlich geschafft, übers Mittelmeer zu gelangen und sich hier Schritt für Schritt ein neues Leben aufzubauen. Er hatte als Vucumprà gefälschte Markensonnenbrillen und raubkopierte Musik-Kassetten verkauft, er war zufällig in Montesecco gestrandet, hatte Milena Angiolini kennen und lieben gelernt, siehatten geheiratet, hatten drei Kinder bekommen, die er mit seinem Job in der Möbelfabrik auch einigermaßen ernähren konnte.
    Seit zwölf Jahren lebte er nun in Italien. Das war eine lange Zeit, doch den Ton der Schüsse von damals hatte er immer noch im Ohr. Scharf wie der Knall einer dicken Nilpferdpeitsche hatten sie geklungen, nur viel, viel lauter. Mamadou hatte nur gelächelt, wenn er jemanden sagen hörte, dass ein Schuss krachte oder donnerte oder gar aufbellte, als hätte ihn ein Hund abgegeben. Mamadou wusste es besser. Ein Schuss klang wie ein überlauter Peitschenknall.
    Das Geräusch, das gerade eben aus Richtung Piazza zu ihm heraufgedrungen war, hörte sich jedoch ganz anders an. Eher wie das Knacken eines dürren Astes, wenn man ihn über dem Knie zerbrach. Sicher, es kam auf die Waffe und auf die Umstände an. Die Lybier hatten wahrscheinlich mit sowjetischen Sturmgewehren geschossen, in der Weite der Sahara, über die sich nur ein endloser, brennender Himmel spannte. Wenn jemand eine Pistole in einem geschlossenen Raum abfeuerte, von dem Mamadou fünfzig Meter

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