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Die Augen der Medusa

Die Augen der Medusa

Titel: Die Augen der Medusa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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bevorer irgendjemandem ein Leid antun konnte. Es war kein sehr brillanter Plan, doch etwas Besseres war ihnen nicht eingefallen.
    Erst einmal galt es zu warten. Vannoni stand wie versteinert am Fenster, die müden Augen aufgerissen, den Blick in die Ecken der Piazza drängend, die nicht von den Laternen beleuchtet wurden. Von den Agenten des NOCS war nichts zu sehen, aber er wusste genau, dass sie überall lauerten und dass ihnen – genau wie ihm – keine Bewegung entgehen würde. Am zweiten Beobachtungsposten wechselten sich Antonietta und Donato ab. Milena brachte die Kinder wieder ins Bett, während Mamadou sich mit seinem Mantel bedeckt hatte und auf einem Sessel im Salotto eingeschlafen war. Elena Sgreccia briet ein paar Eier, die sowieso wegmussten, und Angelo leuchtete ihr mit der Taschenlampe in der dunklen Küche.
    Franco Marcantoni schlich auf und ab. Er nahm sein Berretto vom Kopf, knüllte es zwischen den Händen, strich es glatt, stülpte es sich wieder über. Hinter Vannonis Rücken hielt er kurz inne, fragte leise, wo die verdammten Polizisten denn steckten, und setzte sich wieder in Bewegung, ohne eine Antwort abzuwarten. Dann schlurfte er in die Küche und nervte die Sgreccias mit einer Erzählung über einen längst verblichenen Kommunisten, der ihn einmal über revolutionäre Geduld aufgeklärt hatte. Oder war es revolutionäre Ungeduld gewesen? Er, Franco, habe die Warterei jedenfalls gründlich satt, er wolle etwas tun, fühle sich so stark und leistungsfähig wie seit fünfzig Jahren nicht mehr. Das sei wahrscheinlich das Adrenalin, wie bei den Formel-1-Fahrern. Er habe kürzlich mal einen Bericht im Fernsehen gesehen, in so einer Wissenschaftssendung, die er sich eigentlich regelmäßig anschaue. Diese Woche habe er sie leider verpasst, weil man jetzt ja nur noch von Nachrichten zu Nachrichten schalte, obwohl das Meiste davon sowieso Quatsch sei, und er, Franco, schon lange nicht mehr glaube, dass …
    »Wie wäre es mit einem Gläschen Rotwein?«, fragte Angelo in der Hoffnung, dass es nicht bei einem blieb und Franco auf diese Weise ruhig gestellt werden könnte. Angelo hob die Karaffe ins Licht der Taschenlampe. Der Wein stand schon ein paar Tage offen herum, aber Franco galt nicht als zimperlich.
    »Weißwein!«, sagte Franco. »Gemischt mit Sprite, wenn es geht.«
    Angelo stellte die Karaffe wieder auf den Tisch. Sprite hatte er nicht, der Weißwein lagerte im Keller. Franco folgte ihm unentwegt plappernd die Treppe hinab. Der Kellerraum war klein, ein fensterloses Loch, das höchstens ein Viertel der Grundfläche des Hauses einnahm. Wegen des meist felsigen Untergrunds war in Montesecco kaum ein Gebäude unterkellert, obwohl man früher, als es noch keine Eisschränke gab, einen kühlen Vorratsraum durchaus zu schätzen gewusst hatte.
    Sein eigener Keller, meinte Franco, sei seines Wissens der einzige, der in den Stein geschlagen worden sei, nicht von ihm, sondern wahrscheinlich schon im Mittelalter. Er hätte das natürlich selbst angepackt, wenn der Raum nicht schon vorhanden gewesen wäre, aber da sei er wohl eine Ausnahme. Sonst gäbe es Keller jedenfalls nur hier oberhalb der Piazza, wo der Untergrund locker sei und es keine große Mühe bereite, die Erde auszuschachten. Angelo müsse aber zugeben, dass so ein Keller …
    Franco brach mitten im Satz ab. Angelo legte die Flasche Verdicchio, die er herausgenommen hatte, wieder ins Weinregal zurück und wählte eine billigere. Er fragte: »Ist der recht?«
    Franco antwortete nicht.
    »Das ist ein edles Tröpfchen«, sagte Angelo. »Gut, dass ich keine Limonade habe, mit der du es verwässern könntest.«
    Franco stand wie vom Schlag getroffen.
    »Ist etwas?«, fragte Angelo.
    Franco nahm ihm den Wein aus der Hand und legte ihn zurück. Dann sagte er: »Bei den Salviatis drüben gibt es auch einen Keller!«
    Sie hatten sich geirrt, als sie meinten, sie wären schon an Ort und Stelle, um bei dem befürchteten Angriff einschreiten zu können. Das waren sie nicht. Sie waren noch ein wenig davon entfernt. Eine Gassenbreite trennte sie von Salviatis Keller, an dessen südliche Mauer das Untergeschoss von Minhs Büro grenzte. Lächerliche drei Meter weicher, hier unten mit Sicherheit nicht einmal angefrorener Erde.
    Franco keuchte die Treppe hoch und verkündete: »Genug gefaulenzt! Es gibt Arbeit, Leute!«

5
Venerdì, 18 gennaio
    Dass der Sturmangriff noch nicht stattgefunden hatte, war einzig und allein Italia 1 zu verdanken. Das

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