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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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diesem ehrlichen Finder als Belohnung für meinen geliebten Felix Mendelssohn hundert Dollar geben zu dürfen!« erklärte sie allen Anwesenden.
    Die Kameras klickten abermals, als Mr. McKenny hilflos das Geld in seiner Hand anstarrte. Er wurde aufgefor-dert zu lächeln. Miss Walker küßte ihn auf die Wange und verharrte in dieser Position – wie es Mr. McKenny vorkam, eine Stunde lang –, bis sechs Kameras Klick gemacht hatten. Mr. McKenny murmelte, er müsse jetzt gehen.
    »Ooh –«, sagte Miss Walker. »Kann ich Ihnen vorher nicht wenigstens eine Tasse Kaffee anbieten?«
    »Vielen Dank. Ich bin Teetrinker«, sagte Mr. McKenny.
    »Ich glaube, ich muß jetzt gehen. Ich danke Ihnen sehr für Ihre großzügige Belohnung. Es ist viel mehr, als ich erwartet hätte. Ich glaube wirklich nicht, daß ich –«
    »Sie sollen und müssen es behalten! Verglichen mit Felix ist es eine Kleinigkeit!«
    Mr. McKenny lächelte und deutete eine Verbeugung an.
    »Ich danke Ihnen, Miss Walker.« Irgend jemand überreichte ihm den leeren Käfig und die Einkaufstüte.
    Das Hausmädchen brachte ihn zur Tür. Mr. McKenny hörte schnelle Schritte, die ihm folgten. Er wußte, um wen 146
    es sich handelte.
    »Morgen«, sagte der junge Reporter draußen. »Sie erinnern sich an mich, stimmt's?«
    »Ja«, sagte Mr. McKenny. »Wie geht es Ihnen?«
    »Bestens. – Wie hat Ihnen der letzte Artikel über Sie gefallen?«
    »Oh, ich fand ihn sehr gut.«
    »Diesmal wird er umfangreicher ausfallen. Sie haben ganz schön viel Glück beim Einfangen von Wellensittichen, finden Sie nicht auch?«
    »Nun ja – das war Zufall. Wahrscheinlich haben meine Vögel ihn angelockt. Anders kann ich es mir nicht er-klären.«
    »Ich dachte, Sie hätten keine eigenen Vögel.«
    »Seither habe ich welche gekauft. Ich sagte doch, daß ich früher Vögel hatte.«
    »Hmm. Wie viele entflogene Vögel haben Sie eigentlich gefangen, Mr. McKenny?«
    »Ach – nur diese zwei, glaube ich – soweit ich mich erinnern kann.« Mr. McKenny sah den jungen Mann an und erwartete fast, vom Blitz getroffen zu werden.
    Der junge Mann hatte einen Mundwinkel verächtlich heruntergezogen. »Wissen Sie, ich glaube, daß Sie ein ganz mieser Betrüger sind. Der Vogel da drinnen ist natürlich nicht Miss Walkers Felix. Ich werde noch ein paar Nachforschungen anstellen, und wenn ich mit meiner Vermutung recht habe – tja, dann werde ich dafür sorgen, daß das Ergebnis meiner Nachforschungen in der Zeitung erscheint.«
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    Mr. McKennys Knie gaben nach. »Schon gut. Das ist Ihr gutes Recht«, sagte er leise; dann wandte er sich um und ging.
    An diesem Morgen grüßte Mr. McKenny keinen seiner Nachbarn. Sollten sie doch denken, er wäre über Nacht er-taubt oder erblindet; es kümmerte ihn nicht. Morgen würden seine Nachbarn ohnehin nicht mehr das Wort an ihn richten. Finstere Gedanken plagten ihn. Alles war von seiner Scham durchtränkt, doch die Vorstellung, umziehen zu müssen, war kaum minder entsetzlich – wie sollte er eine Wohnung zu einer bezahlbaren Miete finden, in der er seine Vögel halten durfte? Und das im Handumdrehen?
    Der Gedanke, auch nur einmal aus der Tür zu treten, wenn jedermann im Block von seiner Schande wußte, war ihm unerträglich.
    Auch die Begrüßung durch seine Sittiche, als er die Wohnung betrat, beschämte ihn. Sie waren ihm als einzige Freunde geblieben, und das nur, weil sie nicht Zeitung lasen. Wie betäubt, so daß er sich sehr konzentrieren mußte, um zu verstehen, was er las, studierte Mr. McKenny die Anzeigen für möblierte Wohnungen in den Morgenzeitungen. Sie klangen allesamt erschreckend düster und freudlos. Oder unvorstellbar kostspielig. Eine Wohnung, die ihm gar nicht so übel erschien, kostete, wie er beim zweiten Hinsehen erkannte, einhundertundvier Dollar – in der Woche, nicht im Monat.
    Er machte sich neuen Tee. Er unterhielt sich mit seinen Sittichen, und ihre gedankenlose Munterkeit tröstete ihn ein wenig. Schließlich förderte er seinen Überseekoffer aus einem Wandschrank zutage und warf wahllos seine Hab-148
    seligkeiten hinein. Vielleicht würde er in den Abendzei-tungen eine Wohnung finden, dachte er. Er wußte, daß es nicht so sein würde.
    Und zu guter Letzt stand er einfach nur am Fenster, starrte mit aufgerissenen Augen nach draußen und pfiff ein altes Lied.
    Es klingelte, und Mr. McKenny fuhr zusammen. Noch mehr Reporter, dachte er. Oder gar die Polizei! Eine Sekunde lang spielte er mit dem Gedanken an Flucht. Es gab

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