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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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Nachmittag von einer ziemlich mißtrauischen Mutter und einem vor Glück kreischenden Kindertrio entgegengenommen. Die Kinder beharrten darauf, daß es Billy sei, und der Sittich bestätigte es, indem er »Bu-ii! Bu-ii! Bu-ii!« wiederholte, wenngleich der Lärm, den die Kinder machten, ihn zu irritieren schien. Die Mutter sagte, sie sei sich fast sicher, daß Billy etwas größer sei und außerdem einen dunkleren Schwanz habe. Mr.
    McKenny widersprach nicht.
    »Tja, es ist natürlich möglich, daß das gar nicht Billy ist.
    Ich nehme an, daß bei so schönem Wetter nicht wenige Wellensittiche Lust auf einen Ausflug bekommen. Sie müssen ihn nicht nehmen, wenn Sie denken, daß es nicht Ihrer ist.«
    »Er ist Billy, er ist es!« schrien die Kinder.
    »Ting-ng! Rrrr-rrrr-r!« sagte der Sittich.
    Mr. McKenny verließ das Haus mit seiner Belohnung.
    Als er die York Avenue entlangging, lächelte er verhalten –
    nicht weil er die Belohnung bekommen hatte, sondern weil er sich an die Gesichter der drei Kinder erinnerte. Plötzlich merkte er, daß er in das Schaufenster einer Tierhandlung starrte. Oben in einer Ecke hing ein Käfig mit Sittichen.
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    Einer der Vögel war fast ganz gelb. Und an der Käfigtür war ein Schild mit dem Standardpreis: 1,98 Dollar pro Vogel. Mr. McKenny trat in den Laden und kaufte mit einem Teil seiner Belohnung den gelben Sittich. Wenn niemand einen gelben Sittich verloren meldete – und einen so auffällig gefärbten Vogel konnte man kaum als einen anderen Vogel ausgeben –, dann wollte er ihn selbst behalten.
    Mr. McKenny wohnte in einem Haus aus rötlichem Sandstein; auf beiden Straßenseiten waren etwa ein Dutzend solcher Häuser stehengeblieben, eingezwängt zwischen riesige Apartmentblocks. In den siebzehn Jahren, seit er in seinem jetzigen Haus wohnte, hatte Mr. McKenny mit ansehen müssen, wie die neuen Blocks nach und nach die alten Sandsteinhäuser verdrängten. Er kannte alle Nachbarn in den Sandsteinhäusern, das heißt all jene, die Pelargonien und Begonien in Blumenkästen zogen und viel Zeit damit zubrachten, am Fenster zu sitzen und auf die Straße zu sehen, und das waren fast alle. In der Straße wohnten lauter alte Leute, Paare und Witwen und Witwer, von denen viele nur mit Ach und Krach über die Runden kamen. Er nahm an, daß es ihm ein bißchen besser ging als den meisten. Im Haus nebenan wohnte eine Frau, deren Mann vor zwei Jahren gestorben war; ihr brachte Mr.
    McKenny hin und wieder, wenn er genug Geld hatte, um anständig einzukaufen, einen Topf Gulasch oder Hühner-suppe. Einen alten Mann, der an den Rollstuhl gefesselt war, fuhr Mr. McKenny oft spazieren, immer wieder ums Karree.
    Und als Mr. McKenny jetzt die Straße entlangging, winkten ihm hinter Trichterwinden und blühenden Pelar-138
    gonien hervor drei, vier schmale, geäderte Hände zu. Es war ein schöner, sonniger Junitag.
    »Hallo, Mr. McKenny! Gestern hab ich Sie in der Zeitung gesehen. Sie sind ja eine Berühmtheit geworden!«
    »Nicht ganz!« sagte Mr. McKenny schmunzelnd. »Hallo, Mrs. Zabriskie«, begrüßte er eine andere Frau, die auf der Betonbrüstung ihrer Freitreppe saß. »Wie geht es Ihnen?«
    »Tag, Mr. McKenny. Was haben Sie da? Wieder einen Vogel gefunden?«
    »Unsinn.« Mr. McKenny lächelte. Beiläufig hob er die Papiertüte. »Habe mir vorhin ein Sommerhemd gekauft.«
    Der Juni verging und der größte Teil des Julis, und die Tage waren so heiß und stickig, daß Mr. McKenny seine Vogelkäfige frühmorgens auf die Feuertreppe hinausstellte, bevor die Sonne die Stelle erreichte und zu sehr erhitzte.
    Für Mr. Tucker, den Mann, der im Rollstuhl lebte, machte er eine Terrine von kaltem Lachs, die er mit hartgekochten Eiern und Kopfsalat dekorierte. Mehrmals wöchentlich brachte er der Frau, deren Ehemann gestorben war, Eiscreme mit.
    Eines Morgens sah Mr. McKenny, der sich aus dem Fenster lehnte, um seine Vögel vor der Sonne in Sicherheit zu bringen, auf dem Geländer der Feuertreppe ein schönes Sit-tichmännchen, königsblau mit grünen Farbsprenkeln. Er sah sofort, daß es keiner seiner Sittiche war, obgleich er inzwischen um die fünfundzwanzig Vögel für das lebhaftere Sommergeschäft zur Hand hatte. Der Sittich beäugte ihn aufmerksam, und dann nahm er sein Schwatzen und 139
    Hüpfen auf dem Geländer wieder auf. Er sprach zu den anderen Sittichen, die den freien Vogel mit Interesse betrachteten. Mr. McKenny rief den Vogel mit leiser Stimme; sein Herz klopfte.

»Fff, fff!

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