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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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nur einen Weg – aus dem Küchenfenster und hinunter in den Hof. Selbstmord. Aber Selbstmord war ihm immer als unehrenhaft erschienen. Mr. McKenny richtete sich auf. Er würde vor seiner Bestrafung oder Geldbuße oder was es sein mochte, nicht davonlaufen.
    Es klingelte erneut, und Mr. McKenny ging in seine Kochnische und drückte den Knopf für den Türöffner.
    Er erkannte den Schritt des jungen Reporters. Nur dessen Schritt. Vielleicht überbrachte er ihm eine Vorladung.
    Oder er wollte alles aus erster Hand für seine Zeitung haben. Der junge Mann klopfte. Mr. McKenny öffnete.
    »Guten Tag, Mr. McKenny«, sagte der junge Mann höflich. »Darf ich hereinkommen?«
    Mr. McKenny öffnete die Tür ein Stück weiter.
    Der junge Mann kam herein. Er hielt kein Schreibbrett in der Hand. »Mr. McKenny – heute vormittag mit Mrs.
    Walkers Wellensittich habe ich mich getäuscht. Ich war noch einmal bei ihr und habe mit ihr gesprochen. Sie ist ganz sicher, daß es ihrer ist, weil er Dinge sagen kann, die sie ihm beigebracht hat, und sie hat mir Farbfotos von ihm gezeigt.«
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    »Na ja, Wellensittiche sehen sich ganz schön ähnlich«, sagte Mr. McKenny. »Man kann sich da leicht täuschen, aber –«
    »Aber dieser Vogel ist wirklich Miss Walkers Wellensittich.« Er fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen.
    »Und ich habe in unserem Archiv und bei ein paar anderen Zeitungen recherchiert und habe ein paar der Leute aufgesucht, die ihre Vögel zurückbekommen haben – von Ihnen zurückbekommen. Eine Frau an der York Avenue – Sie erinnern sich vielleicht – hatte einen Vogel namens Billy.«
    »Ja – ich erinnere mich.«
    »Und der Vogel, den sie jetzt hat, ist nicht Billy. Sie hat mir alles erzählt. Sie hat gesagt, er sehe Billy zwar ähnlich, sei es aber nicht. Sie haben ihn in Ting umbenannt, weil er das die ganze Zeit sagt. Aber für die Kinder ist er eben trotzdem ihr Vogel, und weil sie so glücklich sind, bringt sie es nicht übers Herz, ihnen die Wahrheit zu sagen.« Mr.
    McKenny merkte, daß er lächelte. »Gut!« »Ich habe zu ihr gesagt, daß Sie das meiner Meinung nach in der ganzen Stadt machen – Vögel zurückbringen und Belohnungen einstreichen. Und sie hat gesagt, ihrer Meinung nach sollte ich das nicht an die große Glocke hängen. Sie hat mich tatsächlich gebeten, es nicht zu tun. Sie hat gesagt, wenn Sie so viele Familien glücklich machen, wäre es doch nichts Schlimmes. Andere Leute haben das gleiche gesagt.
    Und weil ich es auch so sehe, dachte ich mir, ich komme am besten vorbei und sage es Ihnen, damit Sie sich nicht unnötig über das, was ich heute morgen zu Ihnen gesagt habe, Gedanken machen.«
    »Oh, selbstverständlich nicht«, sagte Mr. McKenny.
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    »Wahrscheinlich sind Sie eine Art Weihnachtsmann. Den Weihnachtsmann gibt es auch nicht wirklich, und trotzdem macht er die Kinder glücklich.« Der junge Mann ging zur Tür. »Einstweilen alles Gute, Mr. McKenny.«
    Mr. McKenny drehte sich um, atmete tief ein und lächelte. Es gab doch Leute mit Verständnis. Die Welt wirkte mit einemmal heller, voller Sonnenschein und voll guten Willens. Er sah auf die Uhr. Schon drei Uhr! Mr.
    McKenny ging zum Schrank, um Jackett und Hut zu holen.
    Es war Zeit für die Nachmittagszeitungen.
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    Ein gefährliches Hobby

    Aidrew Forster – siebenunddreißig, verheiratet, Vater einer vierzehnjährigen Tochter und ein Spitzenvertreter der Marvel Vacuum Company – hatte eine befremdliche Liebhaberei entwickelt. Er pflegte Frauen anzurufen, die er in lange, bedächtige und unaufdringlich schmeichelnde Gespräche verwickelte, verabredete sich mit ihnen (bisweilen zweimal hintereinander, wenn er beim erstenmal nicht in die Wohnung eingelassen wurde) und stahl ihnen irgendeinen Gegenstand, der klein genug war, daß er ihn in die Tasche stecken konnte.
    Manchmal war es nur ein silbernes Feuerzeug oder ein nicht allzu kostbarer Ring, den er von einem Toilettentisch mitgehen ließ; ihn aber befriedigte es, und nach dem harmlosen Delikt vergaß er die Frau. Noch nie, soweit er wußte, war er verdächtigt worden. Sein höfliches, ernsthaftes, verständiges Auftreten schloß so etwas aus. Schließlich war er Verkäufer, und das erste, was ein Vertreter tun mußte, um die Chance zu bekommen, seinen Staubsauger im Wohnzimmer zu demonstrieren, war, sich selbst zu verkaufen.
    Und darauf verstand Andy Forster sich ganz hervorragend.
    Außerdem suchte er seine Opfer wohlüberlegt aus. Es waren ausnahmslos

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