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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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berufstätige Frauen, ausnahmslos alleinstehend, obwohl letzteres ihm nicht weiter wichtig war. Eine war Schauspielerin gewesen, eine besaß einen gewissen Ruf als Journalistin, eine dritte war Mode-152
    schöpferin. Er hatte sich über ihren Lebenslauf und ihre Tätigkeit informiert, um in der Lage zu sein, schon beim ersten Telefonanruf davon zu schwärmen.
    Der Modeschöpferin hatte er von seiner vierzehnjährigen Tochter erzählt, die, wie er behauptete, Modeschöpferin werden wollte; obwohl er wisse, daß es ein recht ungewöhnliches Ansinnen von einem Fremden sein müsse, wolle er sie trotzdem bitten, sich mit ihm kurz über ihren Beruf zu unterhalten. Die letzte Aufführung, in der die Schauspielerin mitwirkte, hatte er besucht und konnte sich dazu äußern. Und diesen oder jenen Artikel der Journalistin hatte er ganz besonders bewundert und wußte schmeichel-hafte Fragen zu stellen. Noch nie hatte man ihm eine Verabredung verweigert.
    Sein Aussehen, wenn er an der Tür erschien oder sich im Tea Room oder der Cocktailbar mit fragender Miene erhob, unsicher, ob er es mit der Richtigen zu tun habe, war noch vertrauenerweckender als seine Stimme am Telefon.
    Er war nicht zu klein und nicht zu groß, eine Spur zu dick, ohne schwabbelig zu wirken, kleidete sich zurückhaltend und hatte rosige, feste Wangen, die einen lasterfreien Lebensstil verrieten. Er trat leise und höflich auf, aber nicht kriecherisch. Er vermochte den Eindruck zu erwecken, Ehrfurcht vor der betreffenden Frau zu empfinden oder zumindest große Hochachtung. Was er sagte, war nie niveaulos, denn Andy war stets darauf bedacht, sich über viele Themen auf dem laufenden zu halten.
    Er kam immer mit dem Wagen, einem großen und ein-drucksvollen Firmenwagen, dem man diese Eigenschaft nicht ansehen konnte, und nach dem Tee oder der 2-Glas-153
    Cocktail-Verabredung (mehr als zwei Drinks wagten Frauen offenbar in Gesellschaft eines Unbekannten nicht zu bestellen) hatte er das Vertrauen der Damen so restlos erobert, daß sie sich ausnahmslos von ihm nach Hause oder wohin auch immer fahren ließen. Den Diebstahl beging er meist bei der zweiten Verabredung. In zwei Fällen hatte er sich ein drittes Mal verabredet, nach dem Diebstahl, wie um das Schicksal auf die Probe zu stellen. Die fehlenden Gegenstände waren mit keiner Silbe erwähnt worden.
    »Woher wissen Sie nur soviel?« fragten sie ihn, faszi-niert von seinen Ausführungen zum Scheitern des Gallipoli-Feldzugs im Ersten Weltkrieg.
    Dann erklärte Andy ihnen, daß er eigentlich Historiker hatte werden wollen oder Physiker oder Geograph, es sich aber seiner Frau wegen anders überlegt hatte (als er mit zweiundzwanzig kurz vor dem Abschluß seines Studiums stand), weil sie der Meinung war, daß man mit dem Gehalt eines Universitätsprofessors nicht über die Runden kommen könne.
    Diese herzerweichende Geschichte, die er männlich unterkühlt und ohne jedes Ressentiment erzählte, weckte größtes Mitgefühl in weiblichen Herzen, und laut wurde die Selbstsucht und Engstirnigkeit des eigenen Geschlechts beklagt – Anwesende selbstverständlich ausgenommen.
    Man bedenke nur, wie sie auf gleichem Fuß mit einem Mann zu sprechen verstanden, wie dieser Mann ihnen zuhörte und sie als Menschen ernst nahm und nicht lediglich für ein Weibchen hielt, mit dem man ins Bett hüpfte. Die größte Vertraulichkeit, die Andy sich heraus-nahm, bestand darin, die Damen am Ellbogen zu berühren, 154
    wenn sie die Straße überquerten oder sich in seinen Wagen setzten beziehungsweise ausstiegen.
    In der Tat hatte eine Verwundung im Koreakrieg Andy impotent gemacht; auch in psychologischer Hinsicht hatte er die Frauen aufgegeben, angefangen bei seiner Ehefrau, die vor etwa zehn Jahren in gewisser Weise ihn aufgegeben hatte. Juliette bereitete ihm jeden Abend zu Hause das Abendessen, doch fast immer ging sie nach dem Essen in irgendeiner Klinik arbeiten, bezahlt oder unbezahlt, ganz egal. Juliette war Krankenschwester, eine zierliche und re-solute Person mit der Energie von zwei Männern in ihrem kleinen, kompakten Körper. Über ihre Arbeit sprach Juliette nie. Die Arbeit war ihr ganzes Leben, und sie konnte es kaum erwarten, sich ihr wieder zuzuwenden, sobald sie das Nötigste für Mann und Tochter getan hatte.
    Andy war klug genug, um zu begreifen, daß er Frauen haßte, obwohl er es erst seit seiner Kriegsversehrung mit Sicherheit wußte. Doch sie hatte ihm vor Augen geführt, daß er seither Juliette und

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