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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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Hierher, hierher, mein Kleiner«, sagte er sanft, ohne sich von der Stelle zu rühren; er stand vorgebeugt, eine Hand auf Freddies und Queenies Käfig, die andere auf dem Fensterrahmen. Dann zog er sich schrittweise zurück und nahm den Käfig mit ins Zimmer.
    Der Sittich auf der Feuerleiter hüpfte und schwatzte, als belustige ihn das.
    Mr. McKenny holte alle Käfige herein. Es hatte keinen Sinn, auf einen entflogenen Sittich zu sehr einzureden. Entweder gesellte er sich zu den anderen Vögeln im Zimmer, oder er ließ es bleiben. Mr. McKenny kauerte sich hinter den Käfigen auf den Boden und begann wieder zu dem Sittich zu sprechen. »Hierher, Schätzchen, hierher, hierher. Komm rein, komm rein. Hast du keinen Hunger, Schätzchen?«
    Er legte seine Sittichschallplatte auf, den Ton ganz leise gestellt. Seine Vögel keckerten und zwitscherten, während sie ihr Frühstück pickten, und der Sittich draußen hüpfte von der Feuerleiter auf den Fensterrahmen, um besser hin-einsehen zu können. Mr. McKenny wußte, daß er den Sieg davontragen würde. Nach ein paar Sekunden bewegte er sich ganz langsam zum Fenster und streute ein wenig Vogelfutter auf den Teppich. Der Sittich beäugte ihn neugierig. Und dann sprang er ins Zimmer. Mr. McKenny bewegte sich ganz langsam um den Vogel herum und schloß das Fenster. Das zweite Fenster etwas weiter zur Linken hatte er bereits geschlossen.
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    Er präparierte einen leeren Käfig mit Körnern und Wasser und stellte ihn mit offener Tür auf den Boden.
    Manchmal gingen Sittiche gern in den Käfig zurück, wenn sie ein paar Stunden lang in Freiheit gewesen waren und sich zu fürchten begonnen hatten. Dann, nachdem er sich vergewissert hatte, daß der Sittich nirgends aus der Wohnung entkommen konnte, ging er die Morgenzeitungen kaufen.
    Mr. McKenny hatte fast nicht erwartet, so bald schon eine Anzeige zu sehen, doch sie befand sich unter den Vermißtanzeigen in der Times: »Sittich Felix entflogen. Blau mit etwas Grün. Gestern East Forty-eighth Street. Besitzer traurig. Belohnung.« Dann die Telefonnummer.
    »Felix?« rief Mr. McKenny den Vogel.
    »Fee-ix!« antwortete der Sittich unverzüglich über die Schulter, während er weiter wie ein forscher Matrose um die Sittiche in ihren Käfigen herummarschierte.
    »Felix!« sagte Mr. McKenny und streckte einen Finger aus.
    »Fee-ix! Ha! Ha! Ha!«
    »Ha! Ha! Ha! Ha! Ha!« wiederholten die Sittiche in den Käfigen.
    »Unk-er Krrnk!« schlug Queenie vor.
    »O nein! Keinen dunklen Schrank für Felix! Das wäre nicht nett.« Mr. McKenny hatte Queenie so oft um Entschuldigung gebeten, weil er sie an dem Tag, als der Reporter kam, in den dunklen Schrank verbannt hatte, daß sie die zwei Wörter gelernt hatte. Er ging zum Telefon, hielt sich die Zeitung vor die Augen und begann die Nummer zu wählen.
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    Eine Frau mit fremdländischem Akzent nahm ab und sagte, er sei mit Miss Soundsos Wohnung verbunden; den Namen verstand Mr. McKenny nicht.
    »Ich glaube, ich habe den Wellensittich gefunden«, sagte er.
    »Oh! Felix? Meinen Sie wirklich? Un moment, s'il vous plaît! – Mademoiselle!«
    Mr. McKenny wartete fast eine Minute lang. Dann sagte eine andere aufgeregte Frauenstimme: »Hallo! Sie haben Felix? Wo sind Sie? Haben Sie wirklich Felix?«
    »Ja, ich glaube schon, obwohl ich es nicht mit Sicherheit sagen kann«, sagte Mr. McKenny, der sich jede Sekunde sicherer war.
    »Wo? Wo haben Sie ihn gefunden? Wo kann ich Sie finden?«
    »Ich kann ihn zu Ihnen bringen. Ich habe einen Käfig«, sagte Mr. McKenny aus alter Gewohnheit. »Vielleicht sagen Sie mir Ihre Adresse.«
    Mr. McKenny notierte die Adresse und den Namen in Großbuchstaben – DIANNE WALKER. Kein komplizierter Name, doch als das französische Hausmädchen ihn gesagt hatte… Mr. McKenny sagte, er werde den Vogel in etwa einer dreiviertel Stunde vorbeibringen. So hätte er genug Zeit für seine Tasse Tee und seinen Toast. Außerdem muß-
    te er Felix noch in den Käfig locken.
    In weniger als fünfzehn Minuten hatte Mr. McKenny sein Frühstück beendet, doch Felix lief noch immer in der Wohnung umher. Mr. McKenny schlich sich an ihn heran, lenkte ihn mit einer Hand ab und stülpte ihm mit der an-142
    deren behutsam seinen Hut über. Er konnte Felix mit nicht mehr Blessuren als einem kleinen blutenden V im Zeigefinger in den Käfig bugsieren.
    »Dort, wohin ich dich bringe, wirst du viel, viel glücklicher sein«, sagte Mr. McKenny tröstend und ohne dem Vogel den Biß zu verargen.

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