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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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Gefühlskälte, Unbarmherzigkeit, Fühl-losigkeit.
    »Hören Sie auf!« herrschte Andy Miss Wooster an und richtete sich auf. Doch als er sah, wie sie zurückwich, erschrak er selbst. Sie schwieg jetzt, doch er befürchtete, daß jeden Moment jemand erscheinen konnte, angelockt durch ihr Geschrei. Sie wich immer weiter zurück, und er folgte ihr. Er brauchte ein Seil, einen Knebel, irgend etwas, um sie zu fesseln, damit er verschwinden konnte.
    »Wo ist das Schlafzimmer? Gehen Sie rein!« befahl er.
    Hinter ihr sah er das Schlafzimmer, in dessen prunkvollem Messingschloß der Schlüssel steckte.
    Sie trat gehorsam in den Raum.
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    »Und hier. Das können Sie wiederhaben«, sagte er und holte den Maya-Anhänger aus der Tasche. Er legte ihn auf eine Kommode neben der Schlafzimmertür. »Es tut mir leid, aufrichtig leid.« Stumm und beschämt neigte er den Kopf mit einem Ruck, als wolle er um Entschuldigung bitten, warf dieZimmertür ins Schloß und sperrte sie ab, wobei er den Schlüssel steckenließ.
    Dann eilte er in das Wohnzimmer zurück, um seine Aktentasche zu holen – Miss Holquist lag reglos da –, und weil er sich nicht traute, den Fahrstuhl zu benutzen, sah er sich nach der Küche um. Wie erhofft besaß sie einen Liefe-ranteneingang, der zu einem Lastenaufzug und einer Treppe führte.
    Er entschied sich für die Treppe. Hinunter und hinunter, dreizehn verwünschte Stockwerke. Er landete in einem Kellerraum, dessen einzige Lichtquelle eine halboffene Tür war, durch die Tageslicht hereindrang. Er ging durch diese Tür, stieg eine Eisentreppe hoch und befand sich auf der Seventy-eighth Street zwischen Park Avenue und Lexington, in unmittelbarer Nähe seines Wagens. Langsam ging er zum Wagen, während er in der Tasche nach den Autoschlüsseln tastete.
    Er wohnte in einer jener besonders unwohnlichen Straßen voller Mietskasernen in dem Teil Manhattans, der an die George Washington Bridge angrenzt. Die Bars in dieser Gegend waren kaum weniger unwirtlich, doch Andy trank in einer zwei große Schluck Rye-Whiskey, um seine Nerven zu beruhigen, bevor er sich nach Hause wagte.
    Jetzt war er ausnehmend froh, daß Juliette nur das Nötigste mit ihm sprach und ihn nie richtig ansah. Und Martha, fiel 165
    ihm ein, war heute abend mit einer Schulfreundin zum Essen verabredet und wollte danach mit der Freundin Hausaufgaben machen.
    In dieser Nacht tat Andy kein Auge zu. Ihn verfolgten Miss Woosters Schreie, durch ihre Schlafzimmertür gedämpft. Hatte es in dem Zimmer ein Telefon gegeben?
    Wie schnell hatte sie sich wohl befreien können? Mr.
    Garrett, Mr. O 'Neill, hatte sie immer wieder gerufen.
    Andy warf sich voller Scham im Bett hin und her und dachte an den Hort voller Schätze in seiner untersten Schublade. Ihm war, als hätte er seinen abstoßenden Zeitvertreib noch nie mit objektivem Blick betrachtet, er, der er sich immer für einen halbwegs intelligenten Zeitgenossen gehalten hatte!
    Am nächsten Morgen kaufte Andy eine Zeitung am Ki-osk in der Nähe seiner Firma, in der er jeden Tag um Viertel vor neun seinen Dienst antrat. In der Zeitung fand sich nichts über den Alptraum des Vorabends; Andy fragte sich, ob die Morgenzeitungen überhaupt rechtzeitig davon hatten erfahren können. Er verkaufte einen Staubsauger an eine alte Dame, die in einer Wohnung voller zwitschernder Kanarienvögel lebte.
    Dann kaufte er ein Nachmittagsblatt, in dem stand, daß die bekannte Journalistin Myra Holquist in der Wohnung der berühmten Ethnologin Rebecca Wooster, die sie interviewen wollte, erdrosselt worden war. Der Artikel kam ihm so unwirklich und phantastisch vor wie das gestrige Geschehen, bis er den Bericht des Mediziners las und die Beschreibung des gesuchten »Robert Garrett oder O'Neill«, die Miss Wooster gegeben hatte. Das war er vom Scheitel 166
    bis zu Sohle, sein Konterfei in Worten!
    Er ein Mörder! Mord hatte Andy nicht einkalkuliert.
    Er wußte, was die Polizei als erstes tun würde: nach einem Robert Garrett oder O'Neill Ausschau halten, auf den die Beschreibung paßte, keinen finden (das zumindest hoffte Andy) und als nächstes nach jemandem suchen, auf den die Beschreibung paßte und der Bestandskataloge für die Public Library zusammenstellte. Danach würde man überall nach einem Mann suchen, auf den die Beschreibung zutraf. Und eines Tages würde man dann möglicherweise…
    Andy kam der Gedanke, daß er sich stellen konnte, doch der Mord war in seinen Augen ein so unglücklicher Zufall, ein solches

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