Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
Vom Netzwerk:
Rand des Glases. Er war nicht so verrückt, dem Gespenst einen Drink anzubieten, aber es hätte ihn nicht gewundert, wenn die Flasche vom Tisch aufgestiegen und ein Glas vom Ablaufbrett herunterge-schwebt wäre. Was indes nicht geschah.
    »Haha.« Das Gespenst lachte freudlos.
    George nahm seinen Whisky und ging ins Wohnzimmer.
    Haha. Nun, hatte er sich nicht oft genug selber so verlacht?
    Dafür, daß er mittags einen Drink nahm, obwohl er sich fest vorgenommen hatte, vor sechs Uhr abends keinen Alkohol anzurühren? Aber warum sollte er ausgerechnet dieses Gebot beherzigen? Weder Liz noch irgendein Arzt hatten ihm je gesagt, daß er zuviel trinke. Lag es am Ende daran, daß er keine ernsthaften Probleme hatte?
    Mit dem halbleeren Glas in der Hand starrte George 191
    finster auf die offene Küchentür, in der sich rein gar nichts zeigte. Er hatte sehr wohl ein Problem.
    Nachmittags rief George seinen Hausarzt an. Beim dritten Anlauf erreichte er Dr. Pallantz persönlich und bat ihn um den Namen eines vertrauenswürdigen Psychiaters.
    Der Doktor nannte ihm zwei, empfahl einen davon nach-drücklicher und erkundigte sich dann, ob etwas nicht in Ordnung sei.
    »Ich möchte mich dazu lieber noch nicht… Also körperlich bin ich meines Erachtens kerngesund«, sagte George, den Blick auf die Küchentür gerichtet. »Dachte bloß, ich unterhalte mich mal 'ne Stunde mit einem Psychiater. Wobei das nie 'ne volle Stunde ist, ich weiß.« George schickte ein Kichern hinterher, das ihm selbst zuwider war.
    George bekam noch am selben Tag einen Termin bei Dr.
    Kublick für eine halbstündige Sitzung am Montag um halb sieben. Er hatte sich auf Dr. Pallantz berufen, und das hatte seine Wirkung offenbar nicht verfehlt. George faßte wieder Mut, als das Wochenende verstrich, ohne daß das Gespenst ihn noch einmal belästigt hätte. Das bestärkte ihn in dem Glauben – der einzigen logischen Erklärung, die er sich vorstellen konnte –, daß ihm nichts weiter fehle als ein Schuß gesundes Selbstvertrauen und daß vielleicht schon die Terminvereinbarung beim Psychiater den Schaden behoben habe.
    Am Montag um halb sieben erzählte George alles. Er wunderte sich selbst, wieviel man in knapp zehn Minuten loswerden konnte. Angefangen bei seinen Eltern in Chi-192
    cago (denen ein Eisenwarenladen gehört hatte und die Wert darauf legten, daß George eine gute Schule besuchte, damit er es einmal besser haben würde als sie) über seine Ehe mit Liz bis hin zu ihrer Trennung. Und natürlich hatte er als erstes die merkwürdigen Halluzinationen erwähnt, die vor zwei Wochen angefangen hätten und deren letzte am Samstag nachmittag stattgefunden habe. Und die seien auch der eigentliche Grund, warum er ihn aufgesucht habe, erklärte er dem Psychiater.
    »Ich frage mich nämlich, ob ich vielleicht an einer Art Schizophrenie leide«, fügte George hinzu, als der Doktor nachdenklich, das Kinn in die Hand gestützt, ansonsten aber heiter, wenn nicht gar belustigt vor sich hin schwieg.
    Dr. Kublick war etwa Mitte Vierzig, ziemlich groß und trug einen braunen Anzug, dessen Hosen nicht die kleinste Knitterfalte aufwiesen. Seine Augen hinter den schwarz-gerahmten Brillengläsern ruhten unverwandt auf George, doch er machte sich keinerlei Notizen. »Schizophrenie…«, sagte er endlich. »Ein alter Gemeinplatz. Schlafen Sie gut zur Zeit?«
    »Wie ein Stein. Ich hatte noch nie Schlafstörungen.«
    »Kein Schwindelgefühl am Morgen? Keine Schwächeanfälle?« Und als George den Kopf schüttelte: »Trinken Sie viel?«
    »Drei, vier Gläser am Tag. Scotch mit Wasser. … Ich glaube wirklich nicht, daß es daran liegt.« Als die halbe Stunde zur Neige ging, hatte George das Gefühl, auf eine Antwort, auf eine kleine Hilfestellung drängen zu müssen.
    Und so wiederholte er: »Am meisten gewundert habe ich 193
    mich über die Echtheit dieses roten Morgenmantels. Ich hätte ihn anfassen können! Jedenfalls kam es mir so vor.«
    »Und doch sagten Sie, daß Sie nichts gespürt hätten, als Sie dem… Ding eine Rückhand verpaßten.« Der Doktor lächelte ihn freundlich und beruhigend an.
    »Ich habe gesagt, mir war so, als hätte ich nichts gespürt.
    Aber ich habe genau gesehen, wie es sich duckte.«
    Und die Stimme! »Und die Stimme«, fuhr George fort,
    »klang genau wie meine. Ich muß zugeben, daß ich die Stimme gehört habe. Mir einbildete, sie zu hören. Es war nur eine Halluzination, ich weiß, aber ich bin überhaupt nicht der Typ für so was«, sagte

Weitere Kostenlose Bücher