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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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Lächelnd schüttelte George dem hochgewachsenen jungen Mann die Hand und stützte ihn, bis er wieder Platz genommen hatte.
    »Danke, Sir, kann nicht klagen.«
    Liz servierte die Drinks, Manhattan-Cocktails für sich und Ed, Scotch mit Wasser für George. Er rauchte eine Zigarette. Die Unterhaltung war ungezwungen, von ein paar Lachern belebt. George sah sich um. Das schwere, etwas rustikale Tuttle-Mobiliar stammte gewiß noch aus der Zeit vor Liz. Die schlichten ockergelben Fenstervorhänge verrieten schon eher ihren Stil. George beugte sich vor und griff nach seinem Glas. Als er Liz anblickte, die gerade etwas erzählte, stand links neben ihr das Gespenst – er selbst –, lächelte spöttisch und wiegte den Kopf, als wollte es sagen: Na, du Trottel, bildest dir wohl ein, der Abend war ein Erfolg, was?
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    George verschüttete ein paar Tropfen Whisky auf dem gewachsten Couchtisch und zückte hastig sein Einsteck-tuch.
    Die hektische Geste riß Ed aus seiner beschaulichen Feierabendstimmung, und er sagte beschwichtigend: »Aber das macht doch nichts, George.«
    George sah Liz an, guckte an ihr vorbei, aber das Phantom war nicht mehr da. Außerdem hatte er diesmal die Stimme nicht gehört, sondern sich die Worte bloß eingebildet. Davon war er überzeugt. Bestimmt spielte sich das Ganze nur in seinem Kopf ab, war irgendein Spleen – wie Ohrensausen.
    »Ist dir nicht gut, George?« fragte Liz. »Doch, doch«, sagte George. »Hab bloß heute meinen ungeschickten Tag.«
    »Sicher war's ein arbeitsreicher Tag«, sagte Liz, die ihn ermuntern wollte, mehr von sich zu erzählen, falls ihm danach war.
    »Heute abend möchte ich die Kanzlei gern einmal vergessen«, sagte George lächelnd. »Unterhalten wir uns doch über etwas Angenehmeres – wir haben Mai, wie steht's denn mit den Urlaubsplänen?« Dabei sah er Willie an. Für Collegestudenten waren Ferien immer ein Thema. Also sprachen sie über ihre Urlaubspläne. Liz und Ed wollten gern in der dritten Juniwoche nach Montauk, falls George das Cottage da nicht für sich beanspruche. George verneinte. Als nächstes Venedig: Liz und Ed hatten eine Kreuzfahrt gebucht, die von Neapel aus zuerst nach Sizi-lien…
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    George hörte nur mit halbem Ohr hin. Während des Essens fürchtete er beständig, das Gespenst könnte wieder auftauchen. Außerdem hatte er Angst, Liz, die ihn doch so gut kannte, würde merken, daß mit ihm etwas nicht stimmte. Kaffee und Brandy nahmen sie wieder im Wohnzimmer. Willie war an Krücken ins Eßzimmer und zurück gelangt. Zum Nachtisch hatte es Liz' selbstgebackene Schokoladentorte mit Vanilleeis gegeben.
    »Du siehst wirklich gut aus, George«, sagte Liz, als er sich mit Ed auf den Weg zur Bushaltestelle machte. Ed hatte angeboten, ihn nach Hause zu fahren, doch das kam für George nicht in Frage. »Laß es dir gutgehen, mein Lieber. Und hoffentlich auf bald.«
    Versuchte Liz, ihn aufzuheitern? George fand, er sehe ganz passabel aus, aber er wußte auch, daß er heute abend nicht in Bestform gewesen war.
    Keine Stunde später war George wieder daheim in seiner Wohnung und allein. Aber war er wirklich allein? Es schien so. Fragte sich nur, für wie lange.
    Es blieb fast eine ganze Woche so. Obwohl George sich keine besondere Strategie zurechtgelegt hatte, um das Gespenst in Schach zu halten, wozu er mangels einschlägiger Erfahrung auch gar nicht imstande gewesen wäre. Als er am Samstag gegen zwölf mit einer Tragetasche voller Le-bensmittel, die hoffentlich für die nächste Woche reichen würden, nach Hause kam, lehnte sein Doppelgänger wieder an der Küchenspüle. Mit den alten grünen Kordhosen, mit Tweedjacke und Boots war er genauso gekleidet wie George an diesem Vormittag. George blinzelte, sein Körper verkrampfte sich, aber er tat, als wäre das Phantom gar 190
    nicht da, und packte seine Einkäufe aus. Das frische Päckchen Kaffee stellte er penibel an seinen Platz hinten im Küchenregal, auch wenn er dazu ganz nah an der Gestalt vorbei mußte.
    Sagst du denn nicht guten Tag?
    George dachte, er hätte das gehört. Er gab keine Antwort. Als er eine volle Flasche Haig im Küchenschrank sah, nahm er sie heraus und drehte am Verschluß. »Wenn ich jetzt einen Whisky trinke, werden Sie vermutlich mit mir schimpfen?« Unwillkürlich entfuhr ihm das laut, so gereizt war er.
    »Nein, nein. Ich würde mir vielleicht selber einen ge-nehmigen. Hab's oft genug getan.«
    Beim Einschenken stieß George zweimal klirrend mit der Flasche gegen den

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