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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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Pseudonymen schrieb. Er brauchte selten länger als einen Monat für ein Buch und arbeitete das ganze Jahr hindurch.
    Da ihm weit mehr Einfalle kamen, als er verwerten konnte, hatte er sich angewöhnt, seinen Schriftstellerstammtisch am Mittwochabend als Ideenbörse für die Kollegen zu nutzen.
    David Ostrander war dreiundvierzig Jahre alt, schmal und drahtig, mit einem hageren Gesicht, dessen papierene Haut von einem feinen Faltennetz durchzogen war. Sein Gesicht – das einzige an ihm, was sein Alter verriet und dabei prompt übertrieb – sah aus, als hätte er sich die ganzen dreiundvierzig Jahre seines Lebens den trockenen, keimfreien Winden jener imaginären Planeten ausgesetzt, auf denen seine Bücher spielten.
    Ginnie, hielt Penn dagegen, war erst vierundzwanzig, zwei Jahre jünger als er. Ihr Teint war glatt und geschmei-dig, ihre Lippen samtig wie Mohnblüten. Schon die Vorstellung, daß David diese Lippen küßte, irritierte ihn. Er verbot sich, weiter an sie zu denken. Wie hatte sie nur ei-292
    nen Mann wie David heiraten können? Warum? Oder machten sein Intellekt, sein galliger Humor, seine über-bordende Schaffenskraft ihn in den Augen einer Frau be-gehrenswert? Außerdem hatte David natürlich Geld, er besaß ein ansehnliches Vermögen und obendrein die Honorare für seine Bücher, doch was hatte Ginnie davon?
    Schöne Kleider, gewiß, aber wozu, wenn David niemals mit ihr ausging? Es kamen auch fast nie Gäste ins Haus.
    Und soweit Penn es mitbekommen hatte, waren sie noch nie irgendwohin verreist.
    »Na? Was halten Sie davon, Penn? Das Giftgas, das die blaue Vegetation verströmt, bezwingt alles Grün, so daß die ganze Bevölkerung langsam, aber sicher eingeht! – Sagen Sie, wo sind Sie denn heute mit Ihren Gedanken?«
    »Ich hab alles mitbekommen«, sagte Penn, ohne den Blick von der Straße zu nehmen, »soll ich's aufschreiben?«
    »Ja. Nein. Ich will erst noch ein bißchen darüber nachdenken.« David zündete sich eine neue Zigarette an.
    »Penn, mein Junge, Sie haben doch was auf dem Herzen.
    Raus damit, wo drückt der Schuh?«
    Penns Hände umklammerten das Lenkrad ein wenig fester. Also eine bessere Gelegenheit dürfte sich kaum bieten, oder? Ein paar Whisky heute abend würden es ihm jedenfalls nicht leichter machen, höchstens seiner Feigheit Vorschub leisten. »David, wenn wir mit diesem Buch fertig sind… ich glaube, dann werde ich Sie verlassen.«
    »Ach«, sagte David, und es klang nicht im mindesten erstaunt. Er nahm ein paar tiefe Züge, dann fragte er: »Gibt's dafür 'nen besonderen Grund?«
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    »Nun, Sie wissen ja, daß ich mich mit dem Gedanken an ein eigenes Buch trage. Über die Küstenwacht.« Penn war die letzten vier Jahre bei der Küstenwacht gewesen. Und ihr verdankte er im Grunde genommen den Job bei David.
    Ostrander hatte nach einem Sekretär inseriert mit
    »vorzugsweise Erfahrungen aus erster Hand in der Marine«. Das erste Buch, bei dem er David unterstützt hatte, spielte nämlich in Marinekreisen – in einer Marine des Jahres 2800 nach Christus, als der ganze Erdball radioaktiv verseucht war. Penn dagegen wollte ein Buch über das wirkliche Leben schreiben, eins mit konventioneller Handlung und optimistischem Schluß. Im Moment freilich und verglichen mit einem Buch des großen David Ostrander erschien ihm sein Projekt stümperhaft und aussichtslos.
    »Sie werden mir fehlen«, sagte David nach längerer Pause. »Und Ginnie auch. Sie hat Sie nämlich sehr gern.«
    Bei jedem anderen Mann hätte das vielleicht wie Häme geklungen; nicht so bei David, der ihn ausdrücklich dazu ermuntert hatte, sich Ginnie zu widmen, mit ihr in den Wäldern rings um das Anwesen spazierenzugehen oder auf dem Hartplatz hinterm Sommerhaus mit ihr Tennis zu spielen. »Ich werde Sie beide auch vermissen«, sagte Penn.
    »Wem würde es nicht schwerfallen, Ihr schönes Stonebridge mit einem engen New Yorker Apartment zu vertauschen?«
    »Sparen Sie sich die schönen Worte, Penn. Dafür kennen wir uns zu gut.« David rieb sich mit einem nikotingel-ben Finger über den Nasenrücken. »Wie war's, wenn ich Sie auf Teilzeitbasis weiterbeschäftigte, so daß Ihnen die Hälfte des Tages für Ihre eigene Arbeit bleibt?« Sie könn-294
    ten einen ganzen Flügel des Hauses für sich haben.«
    Penn lehnte das großzügige Angebot höflich ab. Nein, er wolle eine Zeitlang ganz für sich sein.
    »Ginnie wird gekränkt sein«, sagte David wie zu sich selbst.
    Die Sonne ging unter, als sie das

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