Die Augen der Toten 01 - Die Augen der Toten Teil 1
Hagner hatte sich noch immer nicht beruhigt. „Nächstes Mal fegen wir Euch aus der Halle.“
Tillack grinste hämisch. „Ist das der übliche Umgangston in deiner Abteilung, Martin?“
„Lass gut sein, Werner. Ihr habt Euren Spaß gehabt. Gehen wir duschen.“
Bernd Kruse schöpfte eine Kelle Wasser auf die glühenden Kohlen und drehte die Sanduhr um. Sie waren beim dritten Durchgang. Rensing spürte, wie die feuchte Saunahitze und die eiskalte Dusche seine müden Knochen wieder in Schwung brachten. Seit Tagen hatte er kaum geschlafen. Der Fall Pape war abgeschlossen, und doch wollte es ihm nicht gelingen, die Zweifel abzuschütteln, die ihn seit der ersten Sichtung des Laurenzvideos beschlichen. Die Fakten waren eindeutig. Jedes Detail hatte seinen Platz. Wenn nur dieses Videoband nicht wäre! Dieses gottverfluchte Videoband, das ihn einfach nicht zur Ruhe kommen ließ.
Rensing betrachtete seinen faltigen Bauch. Der Anblick erinnerte ihn an die zerknautschten Hundekörper auf diversen Glückwunschkarten. Vor zwei Jahren war ihm eine strikte Diät verordnet worden. Blutdruck und Cholesterinwerte hatten ernsthaften Anlass zur Sorge gegeben, und Angelika hatte den heimischen Speiseplan umgehend auf Vollwertkost umgestellt. Rensing speckte von ehemals hundert auf rund achtzig Kilo ab. Anfangs gönnte er sich heimlich immer mal eine Currywurst, aber mit der Zeit musste er sich verwundert eingestehen, dass ihm die ausgewogene Ernährung tatsächlich gut tat. Heute spielte Fastfood nur noch eine verschwinden geringe Rolle in seinem Leben. Dafür hatte der Anteil an Sport erheblich zugenommen.
Rensing schloss die Augen und spürte, wie ihm der Schweiß in Rinnsalen über den Körper lief.
Welchen Grund hätte Frank Laurenz haben können, Dr. Pape zu töten? Und wie ließ sich die Zeitspanne zwischen Papes Kopfverletzung und der Verstümmelung der Augen erklären? Siegmund Grothues, der Pathologe, hatte von mindestens neunzig Minuten gesprochen.
„Alles in Ordnung mit dir?“, fragte Tillack. „Du siehst müde aus.“
Rensing brauchte einen Moment, um sich zu orientieren. „Was? Entschuldige, ich war mit den Gedanken woanders.“ Er warf einen Blick auf die Sanduhr. „Die Leichensache Pape macht mir immer noch zu schaffen.“
Tillack zog eine Grimasse. „Wieso das denn? Schneller hättet ihr den Fall kaum lösen können. Strathaus war hochzufrieden, und die Pressekonferenz ist auch gut gelaufen.“
„Das ist es nicht.“ Rensing stand auf und schlang sich das Handtuch um die Hüften. „Ich hab genug für heute. Kommst du mit raus?“
Er öffnete die Tür und trat hinaus. Tillack folgte ihm. Schweigend liefen sie zum Becken hinüber und setzten sich auf zwei freie Holzliegestühle.
„Also gut, Martin. Wo liegt das Problem?“
„Was sollte die Nummer mit den Unileuten?“
„Mit wem?“ Tillack sah ihn überrascht an. „Wovon redest du überhaupt?“
„Beekmann und Lohoff. Warum sollte ich am Samstagmorgen ein Gespräch mit den beiden führen? Wieso sollte ich ihnen das Video zeigen?“
„Ist das so wichtig? Soweit ich weiß, ist Walter Beekmann ein alter Kumpel vom Chef. Als einer von elf Vertretern des Stadtrats hat er den Vorsitz im Polizeibeirat inne. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass er einen Blick auf die Sache werfen wollte. Ich muss dir wohl nicht erklären, dass der Beirat als Bindeglied zur Bevölkerung gedacht ist, und dass die ein reges Interesse am Pape-Mord hat, ist wohl unstrittig. Wenn du mich fragst, wollte sich Beekmann aber wohl nur mit eigenen Augen überzeugen, dass die Universität nicht in die Sache verwickelt ist. Wieso dieser Lohoff dabei war, kann ich dir allerdings auch nicht sagen.“
„Wenn Beekmann sich von der weißen Weste der Uni überzeugen wollte, dürfte ihm das Video kaum gefallen haben. Da kriegt sie ordentlich ihr Fett weg. Hast du dir die Aufnahme eigentlich angesehen?“
„Bist du noch ganz dicht?“ Tillack hob abwehrend die Hände. „Wieso sollte ich mir einen Selbstmord ansehen?“
„Man hat den Leichnam nicht mal obduziert, Werner. Da stimmt doch was nicht.“
Mit der Entscheidung, Laurenz´ Leiche nicht der Pathologie zu überstellen, war Rensing alles andere als einverstanden gewesen. Auf eine Autopsie zu verzichten war geradezu fahrlässig. Zurück blieb ein fader Beigeschmack. So sehr Rensing sich auch bemühte, sein Urteilsvermögen nicht durch seine Abneigung gegen den Polizeipräsidenten trüben zu lassen - er konnte das
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