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Die Augen des Drachen - Roman

Die Augen des Drachen - Roman

Titel: Die Augen des Drachen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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sich umdrehte, würde er das grinsende Gesicht des Hofzauberers in seiner dunklen Kutte sehen.
    Ein wenig spät für Versteckspiele, nicht, Dennis?, würde Flagg sagen, und wenngleich sein Grinsen breiter werden würde, würden seine Augen teuflisch rot leuchten.
Was hast du denn verloren? Kann ich dir beim Suchen helfen?
    Denk nicht an seinen Namen! Bei den Göttern, denk nicht an seinen Namen!
    Aber es fiel schwer, nicht daran zu denken. Wo war es nur? Oh, wo war es?
    Dennis kroch hin und her, und seine Hände waren jetzt ebenso taub wie seine Füße. Hin und her, hin und her. Wo war es? Schlimm genug, wenn er es nicht fand. Noch schlimmer, wenn bis zum Morgen kein Schnee fiel und es ein anderer fand. Die Götter mochten wissen, was darin stand.
    Undeutlich hörte er, wie der Nachtwächter ein Uhr rief. Er suchte nun den Boden ab, den er bereits abgesucht hatte, und seine Panik wuchs.
    Aufhören, Dennis. Aufhören, Junge.
    Die Stimme seines Vaters sprach so klar in seinem Verstand, dass kein Zweifel möglich war. Dennis war auf Händen und Füßen gekrochen, die Nase beinahe im Schnee. Nun richtete er sich ein wenig auf.
    Du SIEHST überhaupt nichts mehr, Junge. Hör auf und schließe einen Moment die Augen. Und wenn du sie wieder öffnest, sieh dich um. Sieh dich wirklich genau um.
    Dennis kniff fest die Augen zu und öffnete sie dann wieder weit. Diesmal sah er sich fast beiläufig um und suchte mit seinen Augen gründlich den Schnee ab, der am Fuß der Nadel lag.
    Nichts. Überhaupt …
    Warte! Dort! Dort drüben!
    Dort glänzte etwas.
    Dennis sah ein Stück glatten Metalls, das kaum einen
halben Zoll aus dem Schnee herausragte. Daneben konnte er den runden Abdruck seines eigenen Knies sehen. Bei seiner hektischen Suche war er beinahe darüber hinweggekrochen.
    Er versuchte es aufzuheben, stieß es aber beim ersten Versuch nur noch tiefer in den Schnee hinein. Seine Hand war so taub, dass er sie fast nicht darum schließen konnte. Als er im Schnee nach dem Metallgegenstand grub, wurde Dennis klar, wenn er mit dem Knie darauf gerutscht wäre, hätte er es tiefer in den Schnee gedrückt, ohne es überhaupt zu spüren - seine Knie waren so taub wie sein übriger Körper. Und dann hätte er es niemals wieder gesehen. Es wäre begraben geblieben bis zum Tauwetter im Frühling.
    Er berührte es, zwang seine Finger, sich darum zu schließen, und zog es heraus. Er sah es verwundert an. Es war ein Medaillon - wahrscheinlich aus Gold -, das wie ein Herz geformt war. Eine feine Kette war daran befestigt. Das Medaillon war geschlossen, aber in die Fuge war ein gefaltetes Stück Papier eingeklemmt. Sehr altes Papier.
    Dennis zog den Brief heraus, schloss die Hand sanft um das alte Papier und streifte die Kette des Medaillons über den Kopf. Unsicher stand er auf und hastete in den Schatten zurück. Das war für ihn der schlimmste Teil der ganzen Sache. Er hatte sich in seinem ganzen Leben noch niemals so schutzlos und ausgeliefert gefühlt. Mit jedem Schritt, den er lief, schien der rettende Schatten der Gebäude am anderen Ende des Platzes einen Schritt zurückzuweichen.
    Schließlich erreichte er die vergleichsweise Sicherheit und blieb keuchend und zitternd einige Augenblicke stehen.
Als er wieder zu Atem gekommen war, ging er ins Schloss zurück, wobei er durch die Vierte Allee schlich und den Eingang für die Köche benutzte. Am Tor ins Schlossgelände stand eine Wache, aber der Mann war genauso pflichtvergessen wie sein Kollege in der vorherigen Nacht. Dennis wartete, und schließlich stapfte der Mann davon. Dennis eilte hinein.
    Zwanzig Minuten später befand er sich wohlbehalten im Vorratsraum der Servietten. Dort entfaltete er den Brief und sah ihn an.
    Eine Seite war eng mit einer altertümlichen Handschrift beschrieben. Der Schreiber hatte eine seltsam rostfarbene Tinte benutzt, und Dennis konnte nichts damit anfangen. Dann drehte er das Papier um und riss die Augen auf. Die Tinte, mit der diese Seite beschrieben worden war, kannte er ganz genau.
    »Oh, König Peter«, stöhnte er.
    Die Nachricht war verschmiert und fast unleserlich - die Tinte war nicht gelöscht worden -, aber es gelang ihm dennoch, sie zu entziffern.
    Hatte vor, heute Nacht zu fliehen. Warte 1 Nacht. Wage nicht, länger zu zaudern. Geh nicht Ben holen. Keine Zeit. Zu gefährlich. Habe ein Seil. Dünn. Könnte reißen. Zu kurz. Muss in jedem Falle springen. 6 Meter. Morgen Mitternacht. Hilf mir zu entkommen, wenn Du kannst. Sicherer Ort. Bin

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