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Die Augen des Drachen - Roman

Die Augen des Drachen - Roman

Titel: Die Augen des Drachen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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den Brief gebeugt, auf dem Bett gesessen. Nun richtete er sich mit strahlenden Augen auf.
    Sein Blick fiel wieder auf den Brief.
    Falls Ihr was hapt, worauf Ihr schreypen könt, so schreypt eine Nachrichd, und ich wil versuchen, sie Spät in der Nacht zu hollen.
    Ja, natürlich besaß er etwas, worauf er schreiben konnte. Nicht die Serviette selbst, denn die könnte vermisst werden. Auch nicht Dennis’ Brief, denn der war auf beiden Seiten vollgeschrieben.
    Aber Valeras Pergament nicht.
    Peter ging wieder ins Wohnzimmer. Er sah zur Tür und stellte fest, dass die Luke geschlossen war. Gedämpft konnte er die Wachen unten beim Kartenspiel
hören. Er trat ans Fenster und winkte zweimal, wobei er hoffte, dass Dennis wirklich irgendwo dort unten stand und ihn sehen konnte. Er konnte freilich nur hoffen.
    Peter ging wieder ins Schlafzimmer, zog den lockeren Stein heraus und fand nach einigem Tasten das Medaillon und Valeras Pergament. Er drehte das Pergament auf die unbeschriebene Seite … aber was sollte er als Tinte verwenden?
    Nach einem Augenblick fiel ihm die Antwort ein. Natürlich dasselbe, was Valera genommen hatte.
    Peter bearbeitete seine Strohmatratze, und nach einigem Ziehen gelang es ihm, eine Naht zu öffnen. Er zog ein paar kräftige Strohhalme heraus, die ihm als Federn dienen konnten. Dann öffnete er das Medaillon. Es war herzförmig, und die untere Spitze war scharf. Peter schloss einen Augenblick die Augen und sprach ein kurzes Gebet. Dann öffnete er sie wieder und zog die Spitze des Medaillons über sein Handgelenk. Sofort sprudelte Blut heraus - viel mehr als zuvor bei dem Nadelstich. Er tauchte den ersten Strohhalm in sein Blut und begann zu schreiben.

102
    Dennis, der in der Dunkelheit und Kälte auf der anderen Seite des Platzes stand, sah Peters Gestalt an das kleine Fenster an der Spitze der Nadel treten. Er sah, wie Peter die Arme über den Kopf hob und sie zweimal überkreuzte. Also eine Nachricht. Das verdoppelte - nein, verdreifachte - das Risiko, aber dennoch war er froh.
    Er richtete sich auf die Wartezeit ein, wobei er spürte, wie Taubheit allmählich in seine Füße kroch und das Gefühl darin absterben ließ. Er musste sehr lange warten. Der Nachtwächter verkündete zehn … dann elf … schließlich zwölf Uhr. Wolken verdeckten den Mond, aber die Luft schien dennoch seltsam hell zu sein - ein weiteres Anzeichen für den bevorstehenden Sturm.
    Er fing an zu glauben, dass Peter ihn vergessen oder seine Meinung geändert hatte, als die Gestalt wieder ans Fenster trat. Dennis richtete sich auf und zuckte angesichts seines schmerzenden Nackens zusammen. Er hatte die ganzen vergangenen Stunden nach oben gesehen. Er glaubte, etwas herausfallen zu sehen … dann verschwand Peters Schatten vom Fenster. Einen Augenblick später wurde oben das Licht gelöscht.
    Dennis schaute nach rechts und links, sah niemanden, nahm all seinen Mut zusammen und eilte über den Platz. Er wusste genau, es konnte jemand da sein - zum Beispiel ein aufmerksamerer Soldat, als es der schlechte Sänger gestern Nacht gewesen war -, den er nicht gesehen
hatte, aber daran ließ sich jetzt nichts ändern. Außerdem war er sich nur zu deutlich bewusst, wie viele Männer und Frauen nicht weit von hier geköpft worden waren. Was war, wenn ihre Geister immer noch hier im Dunkeln lauerten...?
    Aber es war nicht gut, solche Dinge zu denken, und daher versuchte er, sie aus seinem Kopf zu drängen. Wichtiger war, den Gegenstand zu finden, den Peter heruntergeworfen hatte. Der Platz unter Peters Fenster war eine konturlose weiße Schneefläche.
    Im schrecklichen Bewusstsein seiner Ungeschütztheit begann Dennis wie ein unsicherer Spürhund im Schnee zu wühlen. Er war sich nicht sicher, was er nur einen Sekundenbruchteil in der Luft hatte glitzern sehen, aber es hatte nicht allzu leicht ausgesehen. Das schien logisch zu sein; Peter hätte sicher nicht nur ein Stück Papier heruntergeworfen, das vom Wind überall hingetragen werden konnte. Aber was, und wo war es?
    Die Sekunden verrannen und wurden zu Minuten. Dennis wurde zunehmend aufgeregter. Er ließ sich auf Hände und Knie sinken und kroch herum, er suchte in Fußabdrücken, die an diesem Tag zuerst zur Größe von Drachenspuren geschmolzen und dann wieder gefroren waren, hart und blau glitzernd. Schweiß lief ihm übers Gesicht. Und er wurde von einer ständig wiederkehrenden Angstvorstellung gequält - dass sich eine Hand auf seine Schulter legen würde, und wenn er

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