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Die Augen des Drachen - Roman

Die Augen des Drachen - Roman

Titel: Die Augen des Drachen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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den Sturz der Monarchie - eine blutige Revolte, die Delain in tausendjährige Dunkelheit und Anarchie stürzen sollte.
    Plus minus ein oder zwei Jahre natürlich.

19
    In Peters kühlem Blick sah er die mögliche Vereitelung all seiner Pläne und sorgfältigen Arbeit voraus. Mehr und mehr gelangte Flagg zu der Überzeugung, dass es notwendig war, sich Peter vom Hals zu schaffen. Flagg war dieses Mal zu lange in Delain geblieben, und das wusste er. Die Leute begannen schon zu tuscheln. Die Arbeit, die er unter Roland so sorgfältig begonnen hatte - das ständige Anheben der Steuern, die mitternächtlichen Durchsuchungen der Scheunen der Bauern nach nicht gemeldetem Getreide oder Lebensmitteln, die Aufstellung einer Leibgarde -, musste unter Thomas zu einem Ende gebracht werden. Er hatte keine Zeit mehr, Peters Regentschaft über abzuwarten wie bei dessen Großmutter.
    Peter wartete vielleicht nicht einmal ab, bis ihm das Munkeln des Volkes zu Ohren kam; Peters erster Befehl als König konnte durchaus sein, Flagg aus dem Königreich zu verbannen und nach Osten zu schicken und ihm bei Androhung der Todesstrafe zu verbieten, jemals wieder einen Fuß auf Delains Boden zu setzen. Flagg konnte einen Ratgeber ermorden, bevor er eine dahingehende Empfehlung aussprechen konnte, aber das Schlimme war ja, dass Peter keinen Ratgeber brauchte. Peter würde seine Entscheidungen selbst treffen - und wenn Flagg die kühle, unerschrockene Art und Weise sah, wie der jetzt fünfzehnjährige und sehr große Junge ihn musterte,
dann überlegte er sich, ob Peter diese Entscheidung nicht bereits getroffen hatte.
    Der Junge las gern, und er interessierte sich für Geschichte, und in den letzten beiden Jahren, in denen sein Vater immer grauer und gebrechlicher geworden war, hatte er viele Fragen nach den anderen Ratgebern seines Vaters und nach einigen seiner Lehrer gestellt. Viele dieser Fragen - zu viele - hatten entweder mit Flagg zu tun oder mit Wegen, die schließlich zu Flagg führen würden, wenn man ihnen weit genug folgte.
    Dass ein Junge mit vierzehn und fünfzehn Jahren solche Fragen stellte, war schlimm. Dass er vergleichsweise aufrichtige Antworten von so schüchternen, argwöhnischen Männern wie den Historikern des Königreichs und Rolands Ratgebern bekam, war noch schlimmer. Es bedeutete, dass Peter in den Augen dieser Leute schon fast König war - und dass sie darüber froh waren. Sie schätzten ihn und bewunderten ihn, weil er ein Intellektueller wie sie war. Und sie schätzten ihn auch, weil er, anders als sie, ein tapferer Junge war, aus dem durchaus ein König mit dem Herzen eines Löwen werden konnte, dessen Taten Stoff für Legenden boten. In ihm sahen sie die Wiederkehr des Weißen, jener uralten, unverwüstlichen und dennoch so bescheidenen Kraft, welche die Menschheit wieder und immer wieder erlöst hat.
    Er musste aus dem Weg geschafft werden. Er musste.
    Das sagte Flagg sich jeden Abend, wenn er sich in die Schwärze seiner inneren Gemächer zurückzog, und es war sein erster Gedanke, wenn er am nächsten Morgen in dieser Schwärze erwachte.
    Er muss aus dem Weg geschafft werden, der Junge muss aus dem Weg geschafft werden.

    Aber das war schwieriger, als es den Anschein hatte. Roland liebte seine beiden Söhne und wäre für sie beide gestorben, aber Peter liebte er besonders innig. Den Jungen in der Krippe zu ersticken, so dass es aussah, als hätte der Babytod ihn geholt, wäre einst vielleicht möglich gewesen, aber inzwischen war Peter ein gesunder Halbwüchsiger.
    Jeder Unfall würde mit der zornigen Gründlichkeit von Rolands Kummer untersucht werden, und Flagg dachte mehr als einmal, dass die letzte Ironie folgendermaßen aussehen konnte: Angenommen, Peter starb wirklich bei einem Unfall, und ihm, Flagg, wurde irgendwie die Schuld daran zugeschoben? Eine einzige Fehleinschätzung, wenn er an einem Leitungsrohr emporkletterte … eine falsche Bewegung, wenn er auf einem Stalldach herumkroch und mit seinem Freund Ben Staad »Trau dich« spielte … ein Sturz von seinem Pferd. Und was konnte die Folge sein? Konnte Roland, rasend vor Kummer und mit senilem, verwirrtem Verstand, nicht vorsätzlichen Mord in etwas sehen, das tatsächlich ein Unfall war? Musste sein Verdacht sich nicht gegen Flagg richten? Natürlich. Er würde zuerst an Flagg denken, bevor er an jemand anderen dachte. Rolands Mutter hatte ihm misstraut, und er wusste, dass Roland ihm tief in seinem Innersten ebenfalls misstraute. Es war ihm

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