Die Augen des Drachen - Roman
Er trug stets eine Kapuze, ein Mann, der fast kein Gesicht zu haben schien, und er kam niemals selbst als König, sondern wisperte stets im Schatten, ein Mann, der den Königen Gift ins Ohr träufelte.
Wer war er wirklich, dieser dunkle Mann?
Ich weiß es nicht.
Wohin ging er zwischen seinen Besuchen in Delain?
Auch das weiß ich nicht.
Wurde er niemals verdächtigt?
Doch, von einigen wenigen - Historikern und Geschichtenerzählern wie mir. Sie vermuteten, dass der Mann, der sich Flagg nannte, schon öfter in Delain gewesen war, und das stets mit schlechten Absichten. Aber sie hatten Angst, das zu sagen. Ein Mann, der sechsundsiebzig Jahre unter ihnen leben konnte und dabei doch
nur zehn Jahre alterte, war offensichtlich ein Zauberer; ein Mann, der zehnmal so lange lebte, vielleicht länger … ein solcher Mann konnte der Teufel selbst sein.
Was wollte er? Ich glaube, diese Frage kann ich beantworten.
Er wollte das, was böse Menschen immer wollen: Er wollte Macht haben und diese Macht dazu benutzen, Böses zu tun. Er wollte nicht König sein, denn die Köpfe von Königen fanden ihren Weg nur allzu häufig auf Pfähle auf Schlossmauern, wenn etwas schiefging. Aber die Ratgeber der Könige … die Ränkeschmiede im Schatten … diese Leute lösten sich für gewöhnlich auf wie Nachtschatten in der Dämmerung, wenn die Axt des Henkers zu fallen begann. Flagg war eine Krankheit, ein Fieber, das eine kühle Stirn suchte, die es erhitzen konnte. Er verbarg sein Tun ebenso, wie er sein Gesicht verbarg. Und wenn die großen Probleme begannen - wie immer nach einigen Jahren -, dann verschwand Flagg stets wie ein Schatten in der Sonne.
Später, wenn das Elend vorüber war und das Fieber geheilt, wenn alles wieder aufgebaut war und es wieder etwas zu zerstören gab, dann tauchte Flagg wieder auf.
18
Dieses Mal hatte Flagg das Königreich Delain in einem ärgerlich gesunden Zustand vorgefunden. Landry, Rolands Großvater, war ein betrunkener alter Narr gewesen, leicht zu formen und zu beeinflussen, aber ein Herzschlag hatte seinem Leben allzu früh ein Ende gesetzt. Da wusste Flagg aber bereits, dass er Lita, Rolands Mutter, als Allerletzte das Szepter halten sehen wollte. Sie war zwar hässlich, aber großherzig und willensstark. Eine solche Königin war kein guter Nährboden für Flaggs Art von Wahnsinn.
Wäre er früher während Landrys Regierungszeit gekommen, hätte er Zeit gehabt, Lita aus dem Weg zu räumen, so wie er Peter aus dem Weg räumen wollte. Aber er hatte nur sechs Jahre gehabt, und das war nicht genug Zeit gewesen.
Dennoch hatte sie ihn als Ratgeber akzeptiert, und das war immerhin etwas. Sie konnte ihn nicht leiden, aber sie akzeptierte ihn - größtenteils deshalb, weil er so herrlich die Zukunft aus den Karten lesen konnte. Lita hörte nichts lieber als Klatsch und Skandalgeschichten von ihrem Hof und ihrem Kabinett, und dieser Klatsch und diese Skandale waren doppelt so gut, weil sie auf diese Weise nicht nur zu hören bekam, was geschehen war , sondern auch, was geschehen würde. Es war schwer, sich einer so amüsanten Unterhaltung zu entledigen, auch wenn man wusste, dass jemand, der solcher
Tricks fähig war, gefährlich werden konnte. Flagg berichtete der Königin niemals von den dunkleren Geheimnissen, die er manchmal in den Karten las. Sie wollte wissen, wer sich eine Geliebte genommen oder wer Streit mit seiner Ehefrau oder seinem Ehemann hatte. Sie wollte nichts über finstere Kabalen und Mordpläne wissen. Was sie von den Karten wollte, war vergleichsweise unschuldig.
Während der langen, langen Herrschaft Litas hatte Flagg genug damit zu tun, nicht hinausgeworfen zu werden. Es gelang ihm, seine Stellung zu behalten, viel mehr aber nicht. Oh, es gab einige Lichtblicke - so konnte er Zwietracht zwischen zwei mächtigen Landgrafen in der Südlichen Baronie säen und einen Arzt in Misskredit bringen, der ein Heilmittel gegen Blutinfektionen gefunden hatte (Flagg wollte keine Heilmethoden im Königreich, die nicht magischen Ursprungs waren - was bedeutete, dass er selbst sie nach Gutdünken gewähren oder verweigern konnte). Das waren Beispiele für Flaggs Tun zu jener Zeit. Alles in allem nur Kleinigkeiten.
Unter Roland - dem armen, o-beinigen, unsicheren Roland - entwickelte sich alles besser und schneller zu Flaggs Gunsten. Auf seine düstere, bösartige Art hatte er nämlich ein Ziel vor Augen, und diesmal war es wirklich ein großes Ziel. Er plante nicht mehr und nicht weniger als
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