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Die Augen des Drachen - Roman

Die Augen des Drachen - Roman

Titel: Die Augen des Drachen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Kanu, und dies hier für den Schlüpfer eines oranischen Mädchens.« Er blinzelte Flagg zu, der unverbindlich lächelte und nichts sagte. Thomas war plötzlich zumute, als müsste er sich gleich übergeben.
    Roland sah seinen Sohn ernsthafter an und winkte ihn zu sich. Thomas gehorchte schüchtern und hoffte das Beste.
    »Es ist ein gutes Boot, Tommy. Derb, so wie du, ein
wenig unbeholfen, so wie du, aber gut - so wie du. Aber wenn du mir ein wirklich schönes Geschenk machen möchtest, dann solltest du fleißig Bogenschießen üben, damit du auch einmal die Siegermedaille bekommst, so wie Peter heute.«
    Thomas hatte die Siegermedaille im letzten Jahr bekommen, aber sein Vater schien das in seiner Freude über Peters Leistungen vergessen zu haben. Thomas erinnerte ihn nicht daran; er stand lediglich da und betrachtete das Boot in den großen Händen seines Vaters. Stirn und Wangen des Jungen hatten die Farben alter Ziegelsteine angenommen.
    »Als nur noch zwei Jungen im Rennen lagen - Peter und Lord Towsons Sohn -, entschied der Schiedsrichter, dass sie weitere vierzig Koner zurückgehen sollten. Towsons Junge schien allen Mut zu verlieren, aber Peter ging einfach zur angegebenen Linie und legte einen Pfeil an. Ich sah seinen Gesichtsausdruck, und ich sagte zu mir: ›Er hat gewonnen! Bei allen Göttern, er hat den Pfeil noch nicht einmal abgeschossen, und dennoch hat er gewonnen. Und das hatte er. Ich sage dir, Tommy, du hättest dabei sein sollen! Du hättest sehen sollen…«
    Der König plapperte ununterbrochen weiter und stellte das Boot, an dem Thomas einen ganzen Tag gearbeitet hatte, beiseite, ohne es eines weiteren Blickes zu würdigen. Thomas stand schweigend da, hörte ihm zu und lächelte mechanisch, aber die stumpfe Ziegelsteinfarbe wich nicht aus seinem Gesicht. Sein Vater würde sich niemals die Mühe machen, das Boot, das er geschnitzt hatte, mit zum Burggraben zu nehmen - warum sollte er auch? Das Boot war so lächerlich, wie er selbst sich fühlte. Peter hätte wahrscheinlich mit verbundenen Augen
ein schöneres in der halben Zeit schnitzen können. Wenigstens hätte es für ihren Vater schöner ausgesehen.
    Eine schreckliche Ewigkeit später durfte Thomas sich entfernen.
    »Ich glaube, der Junge hat sehr hart an dem Boot gearbeitet«, bemerkte Flagg leichthin.
    »Ja, das glaube ich auch«, sagte Roland. »Hässliches kleines Ding, nicht? Sieht aus wie Hundekot, in dem ein Taschentuch steckt.« Wie etwas, was ich selbst gemacht hätte, als ich in seinem Alter war, fügte er in Gedanken hinzu.
    Thomas konnte keine Gedanken hören … aber durch einen höllischen Trick der Akustik konnte er Rolands Worte hören, als er den Großen Saal gerade verlassen wollte. Plötzlich war der schreckliche grüne Druck in seinem Magen noch tausendmal schlimmer als vorher. Er rannte in sein Zimmer und übergab sich in ein Becken.
    Als er am nächsten Tag hinter dem Küchengebäude spielte, sah Thomas einen beinahe lahmen alten Köter, der nach Abfällen wühlte. Er ergriff einen Stein und warf ihn. Der Stein traf sein Ziel. Der Hund jaulte auf und fiel verletzt zu Boden. Thomas wusste, dass sein Bruder, obwohl er fünf Jahre älter war, einen solchen Treffer nicht einmal auf die halbe Entfernung zustande gebracht hätte - aber das war eine kalte Befriedigung, denn er wusste auch, dass Peter niemals einen Stein nach einem armen hungrigen Hund geworfen hätte, schon gar nicht nach einem so alten und gebrechlichen, wie es dieser hier offensichtlich war.
    Einen Augenblick erfüllte Mitleid Thomas’ Herz und Tränen traten ihm in die Augen. Dann fiel ihm aus unerfindlichen
Gründen sein Vater ein, wie er sagte: Sieht aus wie Hundekot, in dem ein Taschentuch steckt. Er sammelte eine Handvoll Steine ein und ging dorthin, wo der Hund benommen und aus einem Ohr blutend lag. Ein Teil von ihm wollte den Hund in Ruhe lassen oder ihn gesund pflegen, wie Peter Peony gesund gepflegt hatte - damit er sein eigener Hund wurde, den er für immer lieb haben durfte. Aber ein Teil von ihm wollte dem Hund wehtun, als würde es seinen eigenen Schmerz lindern, wenn er dem Hund wehtat. Er stand unentschlossen über ihm, da kam ihm ein schrecklicher Gedanke:
    Angenommen, dieser Hund wäre Peter?
    Damit war die Sache entschieden. Thomas stand über dem alten Hund und warf Steine auf ihn, bis er tot war. Niemand sah ihn, aber wenn ihn jemand gesehen hätte, dann hätte er oder sie gedacht: Das ist wirklich ein böser Junge … böse,

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